Karin aus Köln-Niehl ist 76 Jahre alt und hat 49 Jahre lang gearbeitet. Trotzdem reicht ihre Rente kaum zum Leben. Ihre Geschichte beleuchtet ein wachsendes Problem in Deutschland: die Altersarmut, die besonders Frauen betrifft und die Zukunft des Rentensystems in Frage stellt.
Nach Abzug ihrer Miete und Nebenkosten bleiben Karin von ihrer monatlichen Rente in Höhe von 940 Euro nur 360 Euro. Ein staatlicher Zuschuss in Form von Wohngeld hilft ihr, über die Runden zu kommen. Doch ihr Alltag ist von Verzicht geprägt und zeigt, wie unsicher die finanzielle Lage für viele Rentnerinnen und Rentner geworden ist.
Wichtige Fakten
- Karin, 76, erhält nach 49 Arbeitsjahren 940 Euro Rente monatlich.
- Nach Abzug der Fixkosten bleiben ihr 360 Euro zum Leben.
- Etwa jeder fünfte Rentner in Westdeutschland gilt als armutsgefährdet.
- Frauen erhalten im Schnitt fast 40 Prozent weniger Rente als Männer.
- Experten warnen vor einer Zunahme der Altersarmut, wenn das Rentensystem nicht reformiert wird.
Ein Leben voller Arbeit, eine Rente am Existenzminimum
Karin ist eine Frau, die stolz auf ihr langes Berufsleben ist. Mit 14 Jahren begann sie eine Ausbildung zur Arzthelferin. Über die Jahrzehnte sammelte sie in verschiedenen medizinischen Fachrichtungen wertvolle Erfahrungen. „Mein Chef hat immer gesagt: Dich kann ich überall hinschicken. Du kriegst alles geregelt“, erzählt sie in ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung in Niehl.
Trotz 49 Beitragsjahren fällt ihre Rente gering aus. Die monatliche Zahlung von 940 Euro reicht nicht aus, um die Lebenshaltungskosten in einer Stadt wie Köln zu decken. Nach Abzug der Miete und Nebenkosten verbleibt ein Betrag, der kaum für Lebensmittel, Kleidung und soziale Teilhabe genügt. Um ihre finanzielle Situation zu verbessern, erhält sie knapp 200 Euro Wohngeld vom Staat.
Alltag zwischen Sparsamkeit und Verzicht
Karins Tage werden in „guten“ und „schlechten“ Naturalien berechnet. Ein guter Tag ist, wenn sie auf dem Markt in Nippes einen Spitzkohl für einen Euro findet, der für mehrere Mahlzeiten reicht. Ein schlechter Tag ist, wenn sie am Rudolfplatz an den Cafés vorbeigeht und weiß, dass sie sich nicht einmal eine Tasse Kaffee leisten kann.
„Manchmal kotzt mich das an. Ich sitze hier bei meinem Wasser und weiß: Nebenan lassen andere die Gläser klirren.“
Diese Momente des Verzichts sind für sie besonders schmerzhaft. Sie verdeutlichen die soziale Ausgrenzung, die mit finanzieller Not einhergeht. Während andere das Stadtleben genießen, muss Karin jeden Cent zweimal umdrehen.
Hintergrund: Das deutsche Rentensystem
Das deutsche Rentensystem basiert auf einem Umlageverfahren, dem sogenannten Generationenvertrag. Die arbeitende Bevölkerung finanziert mit ihren Beiträgen die Renten der aktuellen Ruheständler. Aufgrund des demografischen Wandels – weniger junge Beitragszahler und mehr ältere Rentenempfänger – gerät dieses System zunehmend unter Druck. Politische Reformen werden seit Jahren diskutiert, aber oft aus Sorge vor Wählerverlusten aufgeschoben.
Das strukturelle Problem der Altersarmut
Karins Schicksal ist kein Einzelfall. Laut statistischen Daten ist etwa jeder fünfte Rentner in Westdeutschland von Armut bedroht. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Gleichzeitig zeigen die Zahlen auch, dass es vielen Rentnern finanziell gut geht. Der Durchschnittsrentner verfügt über rund 1.990 Euro im Monat.
Wilfried Preisendörfer, 72, ist ein Beispiel für einen Ruheständler ohne finanzielle Sorgen. Nach fast 48 Beitragsjahren, davon viele mit Höchstbeiträgen, erhält er eine Rente von circa 2.700 Euro. Reisen und andere Ausgaben sind für ihn problemlos möglich. Dieser Kontrast zeigt die wachsende Kluft zwischen den Rentenbeziehern.
Frauen sind besonders betroffen
Ein besonders deutliches Problem ist der sogenannte Gender Pension Gap. Frauen erhalten in Deutschland im Durchschnitt fast 40 Prozent weniger Rente als Männer. Die Gründe dafür sind vielfältig:
- Sie arbeiten häufiger in Teilzeit, um sich um Familie und Haushalt zu kümmern.
- Sie sind öfter in schlechter bezahlten Branchen tätig.
- Karriereunterbrechungen für die Kindererziehung führen zu geringeren Rentenansprüchen.
Karin hat zwar durchgehend gearbeitet und keine Kinder großgezogen, doch auch sie war in einem typischen „Frauenberuf“ tätig, der in den 1970er-Jahren schlecht bezahlt wurde. Ihr erstes Gehalt als Auszubildende betrug 75 D-Mark, damals als „Erziehungsbeihilfe“ bezeichnet.
Zahlen zur Altersarmut
Laut dem Verein „Ein Herz für Rentner“ stehen Rentnern im Grundsicherungsbezug täglich nur 6,51 Euro für Essen und Getränke zur Verfügung. Eine ausgewogene, altersgerechte Ernährung ist damit kaum möglich. Der Verein unterstützt bedürftige Senioren bei unerwarteten Ausgaben wie hohen Nachzahlungen für Strom und Gas.
Ein Blick in die Zukunft der Rente
Experten warnen davor, dass Karins Situation in Zukunft für viele zur Normalität werden könnte. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung prognostiziert, dass die Zahl der Menschen in der Grundsicherung bis 2040 deutlich steigen wird, wenn keine tiefgreifenden Reformen umgesetzt werden. Der frühere Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) mahnte bereits, man müsse lenken, „bevor der Wagen in den Graben fährt“.
Vorschläge wie die Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung werden diskutiert, stoßen aber auf politischen Widerstand. Gleichzeitig belasten teure Maßnahmen wie die „Mütterrente“ das System zusätzlich.
Lebensentscheidungen mit weitreichenden Folgen
In Karins Leben gab es Momente, die ihre finanzielle Lage im Alter stark beeinflussten. Eine gut bezahlte, aber langweilige Stelle bei der Oberpostdirektion kündigte sie, weil sie eine aktive Tätigkeit bevorzugte. „Ich wollte es immer krachen lassen“, sagt sie. Später machte sie sich mit einem Obst- und Gemüsestand selbstständig – eine Arbeit, die sie liebte, bei der sie aber nur geringe Rentenbeiträge zahlte.
Zusätzlich hinterließ ihr ein ehemaliger Lebensgefährte Schulden in Höhe von 100.000 D-Mark, die sie über Jahre abbezahlen musste. Diese finanziellen Rückschläge wirkten sich direkt auf ihre Altersvorsorge aus. Trotz aller Schwierigkeiten lässt sich Karin nicht unterkriegen. Wenn die Sorgen zu groß werden, dreht sie die Musik laut auf und tanzt in ihrem Wohnzimmer. In diesen Momenten, sagt sie, ist sie weder arm noch alt.




