Die Hardcore- und Punkszene im Rheinland erlebt nach der Corona-Pandemie eine Wiedergeburt. Angetrieben von einer neuen Welle des „Do-It-Yourself“-Gedankens entstehen Konzerte, Fanzines und Labels aus eigener Kraft. Doch während die Energie so hoch ist wie nie, kämpfen die Akteure mit internen Spaltungen und der wachsenden Gefahr der Kommerzialisierung.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Kölner und Bonner Hardcore-Szene hat nach der Corona-Pandemie einen starken Aufschwung erlebt.
- Viele Konzerte werden nach dem Non-Profit-Prinzip „Do-It-Yourself“ (DIY) von Szene-Mitgliedern organisiert.
- Trotz der hohen Aktivität gibt es eine spürbare Zersplitterung zwischen den Städten im Rheinland.
- Akteure der Szene warnen vor der zunehmenden Kommerzialisierung durch externe Agenturen und Marken.
Ein neuer Anfang nach der Stille
Die Zwangspause durch die Corona-Pandemie hat in der Subkultur tiefe Spuren hinterlassen. Doch statt zu resignieren, hat sich die Hardcore- und Punkszene im Rheinland neu erfunden. Vor allem junge Menschen, die während der Lockdowns wichtige soziale Erfahrungen verpasst haben, strömen nun zu Konzerten und engagieren sich.
„Ich habe das Gefühl, dass gerade nach Corona Leute Interesse an Punk und Hardcore entwickelt haben, die vielleicht sonst in einer anderen Subkultur unterwegs gewesen wären“, erzählt Aleks, Sängerin der Bonner Hardcore-Band Passed Out. Für viele war die Pandemie eine Zäsur, die den Wunsch nach authentischen und energiegeladenen Gemeinschaften verstärkt hat.
Dieser neue Tatendrang zeigt sich vor allem in der Organisation von Konzerten. Statt auf etablierte Veranstalter zu warten, nehmen die Bands und ihre Freundeskreise die Dinge selbst in die Hand. Es ist, so Aleks, „wirklich kein Hexenwerk“, sich zusammenzutun und eine Show mit lokalen Bands auf die Beine zu stellen.
Der DIY-Gedanke
„Do-It-Yourself“ (DIY) ist ein zentrales Ethos der Punk- und Hardcore-Bewegung. Es bedeutet, unabhängig von der kommerziellen Musikindustrie eigene Musik zu produzieren, Konzerte zu veranstalten, Fanzines (von Fans für Fans erstellte Magazine) zu drucken und Labels zu gründen. Der Fokus liegt auf der Gemeinschaft und der kreativen Selbstverwirklichung, nicht auf Profit.
Die „Rhineline“: Eine Szene zwischen Einheit und Trennung
Fabian, Bassist bei Passed Out und Sänger der Band Echo Chamber, ist eine treibende Kraft in der Szene. Er zog vor einigen Jahren nach Köln und hat mit dem Fanzine „Down but not out“ und einem dazugehörigen Label eine wichtige Infrastruktur geschaffen. Für ihn ist die aktuelle Zeit die beste, die es je für Hardcore und Punk gab. „Die Anzahl der Kreativen, die nicht nur machen, was immer gemacht wird, sondern die auf Leute zugehen und Sachen ausprobieren, die ist so hoch wie nie“, sagt er.
Er beschreibt eine Art kreative Achse, die er „Rhineline“ nennt und die sich von Düsseldorf über Köln und Bonn bis nach Frankfurt erstreckt. „Das sind alles unsere Bands, unsere Labels, die Leute hängen miteinander ab, fahren zusammen auf Konzerte.“
Doch diese Wahrnehmung wird nicht von allen geteilt. Briegel, Gitarrist bei Passed Out, sieht zwar die enorme Energie, kritisiert aber eine zunehmende Zersplitterung. „Jeder kocht sein eigenes Süppchen“, meint er. Er hat das Gefühl, dass bestimmte Gruppen den Zugang zu Auftrittsorten kontrollieren und sich feste Codes etablieren, die es für neue Bands schwer machen.
„Es werden krasse Shows aus dem Nichts hochgezogen, die sind alle so energetisch, das ist unglaublich cool. Der Zutritt ist niedrigschwellig. Man kann aus dem Nichts kommen und einfach anfangen.“
- Briegel, Gitarrist der Band Passed Out
Diese Spaltung spürt seine Band direkt. Während sie in Ostdeutschland und Osteuropa, etwa in Prag oder Budapest, begeistert aufgenommen werden, fühlen sie sich in der eigenen Region oft ignoriert. „Das ist ein ganz anderer Support, den wir dort erfahren, als hier“, erklärt Sängerin Aleks. Eine mögliche Erklärung sei die hohe Dichte an Veranstaltungen in Köln. „Vielleicht denken sich die Leute hier: ‚Ich habe hier genug Shows, ich brauche nichts mit Düsseldorf zu tun zu haben‘“, vermutet sie.
Der Kampf gegen die Kommerzialisierung
Mit wachsender Sichtbarkeit der Szene wächst auch das Interesse von außen. Fabian warnt eindringlich vor der Vereinnahmung durch kommerzielle Akteure. Das Ziel der DIY-Kultur sei es, unabhängig zu bleiben und die Kontrolle zu behalten.
Non-Profit-Konzerte
Die meisten DIY-Shows sind nicht auf Gewinn ausgelegt. Die Einnahmen aus dem Eintritt decken die Kosten für die Bands, die Tontechnik, Verpflegung und eventuell eine kleine Raummiete. Orte wie die Kneipe „Namenlos“ in Bonn unterstützen dies, indem sie ihre Räume mietfrei zur Verfügung stellen und ihr Geld über den Getränkeverkauf verdienen.
„Du hast immer Einfallstore, Booker zum Beispiel oder Agenturen, die sich versuchen da so reinzuschleichen“, erklärt Fabian. Sobald man mit Mittelsmännern arbeite, würden Garantien für Bands gefordert, was die Eintrittspreise in die Höhe treibe und den gemeinschaftlichen Charakter zerstöre. „Das macht erstens keinen Spaß und vor allem musst du dann auch die Preise hochschrauben.“
Er sieht die Entwicklung in den USA als warnendes Beispiel, wo große Marken wie Softdrink-Hersteller versuchen, die Hardcore-Szene für ihr Marketing zu nutzen. „Und alles, was in den USA passiert, kommt irgendwann hier rüber“, mahnt er. „Du wirst auch irgendwann Red Bull haben, die anklopfen, wenn du ein Festival machst.“
Für ihn ist klar: Geldverdienen ist nicht das Ziel. Sobald Profit im Vordergrund stehe, unterwerfe man sich Zwängen, die dem Geist von Hardcore widersprechen. „Für mich kann Hardcore bleiben, wie er ist.“
Neue Räume und alte Klischees
Die Szene erobert sich auch neue Orte. Neben dem Autonomen Zentrum (AZ) in Köln, einem traditionellen Ankerpunkt, sind mittlerweile auch Clubs wie der Tsunami Club in der Südstadt oder die Abenteuerhallen in Kalk wichtige Spielorte für Hardcore-Konzerte geworden.
Gleichzeitig setzen sich die Mitglieder kritisch mit sich selbst auseinander. Briegel beobachtet eine Tendenz, Männlichkeit im Hardcore zu romantisieren, ähnlich wie im Film „Fight Club“. Der Moshpit – der Tanzbereich vor der Bühne – werde zum Ventil, um Aggressionen abzubauen und eine neue Stärke zu performen. Diese kritische Selbstreflexion ist Teil des Prozesses, die Szene offen und relevant zu halten.
Die Zukunft der Kölner Hardcore- und Punkszene liegt damit in den Händen ihrer Akteure. Sie müssen die Balance finden zwischen der Bewahrung ihrer unabhängigen Wurzeln und dem Aufbau einer vernetzten Gemeinschaft, die über Stadtgrenzen hinausreicht. Die Energie dafür ist vorhanden – jetzt geht es darum, sie in die richtigen Bahnen zu lenken.




