Zum Ende ihrer Amtszeit blickt die scheidende Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker auf ihre wohl umstrittenste Äußerung zurück. In einem aktuellen Interview distanzierte sich die parteilose Politikerin von ihrer Aussage zur „Armlänge Abstand“, die sie nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015/2016 gemacht hatte, und äußerte ihr tiefes Bedauern über die entstandene Fehlinterpretation.
Wichtige Erkenntnisse
- Henriette Reker bedauert ihre Aussage von der „Armlänge Abstand“ und würde sie heute nicht mehr wiederholen.
- Die Äußerung wurde damals als Versuch der Täter-Opfer-Umkehr kritisiert, was laut Reker nicht ihre Absicht war.
- Die Aussage fiel im Januar 2016 auf einer Pressekonferenz nach den massenhaften sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht.
- Reker sprach auch über persönliche Herausforderungen, wie die unzähligen Morddrohungen während ihrer Amtszeit und die Notwendigkeit, nach zehn Jahren wieder Autofahren zu lernen.
Ein Satz, der eine Debatte prägte
Kurz nach den Ereignissen der Silvesternacht 2015/2016, bei denen es am Kölner Hauptbahnhof zu hunderten sexuellen Übergriffen auf Frauen kam, stand die Stadtverwaltung unter enormem Druck. In einer Pressekonferenz zur Sicherheitslage wurde die frisch im Amt befindliche Oberbürgermeisterin nach präventiven Maßnahmen gefragt, die Frauen selbst ergreifen könnten.
Ihre Antwort, die als Zitat aus einer städtischen Broschüre gedacht war, löste eine bundesweite Kontroverse aus. Reker empfahl, zu fremden Personen, zu denen kein Vertrauensverhältnis bestehe, eine Distanz von „einer Armlänge“ zu wahren. Diese Formulierung wurde von vielen als Verharmlosung der Taten und als eine Form von „Victim Blaming“ (Opferschelte) verstanden – als würde den Opfern eine Mitschuld an den Übergriffen zugewiesen.
Rekers heutige Einordnung der Aussage
Fast ein Jahrzehnt später stellt Reker klar, wie sie heute zu dieser Äußerung steht. In einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärte sie, dass sie diesen Satz so nicht mehr sagen würde. Der Grund dafür ist die öffentliche Wahrnehmung, die daraus entstand.
„Das würde ich nicht mehr aus einer städtischen Broschüre zitieren, das würde ich überhaupt nicht mehr sagen. Weil das so verstanden wurde, als wäre den Frauen nichts passiert, wenn sie eine Armlänge Abstand gehalten hätten. So war es nicht gemeint“, so Reker wörtlich.
Diese Klarstellung am Ende ihrer politischen Karriere zeigt das Bewusstsein für die Wirkung und die unbeabsichtigten Folgen ihrer damaligen Wortwahl. Die Debatte um die „Armlänge Abstand“ ist zu einem Symbol für die Schwierigkeiten in der öffentlichen Kommunikation über Gewalt gegen Frauen geworden.
Hintergrund: Die Kölner Silvesternacht 2015/2016
In der Nacht vom 31. Dezember 2015 auf den 1. Januar 2016 kam es rund um den Kölner Dom und den Hauptbahnhof zu massenhaften Straftaten. Hunderte Frauen wurden von Männergruppen umzingelt, sexuell bedrängt und bestohlen. Die Ereignisse lösten eine intensive gesellschaftliche Debatte über Sicherheit, Integration und sexualisierte Gewalt aus und führten zu einer Verschärfung des Sexualstrafrechts in Deutschland.
Persönliche Belastungen im Amt
Die Amtszeit von Henriette Reker war von Beginn an von extremen Herausforderungen geprägt. Nur einen Tag vor ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin im Oktober 2015 überlebte sie ein Messerattentat durch einen Rechtsextremisten, bei dem sie lebensgefährlich verletzt wurde. Dieses Ereignis war nur der Auftakt zu einer Reihe von Bedrohungen, mit denen sie sich konfrontiert sah.
Auf die Frage nach der Anzahl der Morddrohungen, die sie während ihrer zehn Jahre im Amt erhalten hat, antwortete Reker im Interview: „Ich habe irgendwann aufgehört, sie zu zählen.“ Diese Aussage verdeutlicht das Ausmaß der Anfeindungen, denen Kommunalpolitikerinnen und -politiker heute ausgesetzt sind.
Politische Gewalt in Deutschland
Laut Berichten des Bundeskriminalamts hat die Zahl der Angriffe auf Amts- und Mandatsträger in den letzten Jahren zugenommen. Die Bedrohungen reichen von Hasskommentaren im Internet bis hin zu physischer Gewalt und Morddrohungen. Dies stellt eine ernsthafte Gefahr für die demokratische Kultur und das ehrenamtliche Engagement dar.
Ein Blick in die private Zukunft
Nach einer Dekade an der Spitze der Millionenstadt Köln bereitet sich Henriette Reker auf einen neuen Lebensabschnitt vor. Die 68-Jährige sprach offen über die ganz alltäglichen Dinge, die sie nach zehn Jahren mit Dienstwagen und Fahrer neu erlernen muss. Die ständige Verfügbarkeit eines Fahrers hat Spuren im Alltag hinterlassen.
„Ich kann nicht mehr kochen und ich fahre noch nicht gut Auto, weil ich über so viele Jahre einen Fahrer hatte“, gestand Reker. Um ihre Fahrpraxis wiederzuerlangen, habe sie bereits in einem Gewerbegebiet geübt. Diese persönlichen Einblicke zeigen eine andere Seite der Politikerin und den Preis, den ein solches Amt auch im privaten Bereich fordert.
Die Herausforderung der Normalität
Der Übergang von einem straff organisierten politischen Alltag zurück in ein selbstbestimmtes Privatleben ist für viele Spitzenpolitiker eine Umstellung. Reker steht nun vor der Aufgabe, alltägliche Routinen wiederzuentdecken, die für die meisten Menschen selbstverständlich sind. Ihre Offenheit über diese kleinen, aber signifikanten Hürden bietet einen menschlichen Einblick in das Leben nach der Politik.




