Ein als Lebensmittelausgabe genutztes Fahrrad im Kölner Eigelstein-Viertel wurde von der Stadtverwaltung entfernt, was bei Anwohnern und ehrenamtlichen Helfern für Unverständnis sorgt. Das Rad diente über zwei Jahre lang als Anlaufstelle für Bedürftige, um gerettete Backwaren zu erhalten. Nun steht es auf einem Wertstoffhof.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Fahrrad zur Verteilung von Lebensmitteln im Eigelstein wurde von der Stadt als Schrott eingestuft und entfernt.
- Das Projekt existierte seit über zwei Jahren und wurde von lokalen Initiativen und Unternehmen unterstützt.
- Die Entfernung erfolgte nach der Beschwerde einer Einzelperson über eine städtische App.
- Ehrenamtliche und der Bürgerverein kritisieren das Vorgehen als unverständlich und bürokratisch.
Ein gelber Zettel sorgt für Verwirrung
Im Kölner Eigelstein-Viertel herrscht Fassungslosigkeit. Ein Fahrrad, das seit mehr als zwei Jahren „Im Stavenhof“ stand und als sogenannter „Fairteiler“ für gerettete Lebensmittel diente, ist verschwunden. Anwohner und ehrenamtliche Helfer, die das Rad regelmäßig mit Brot und Backwaren bestückten, fanden Anfang Oktober plötzlich einen gelben Aufkleber der Stadt am Rahmen.
Michael Seffen, der sich als „Veedelskümmerer“ im Viertel engagiert, beschreibt die Situation: „Auf dem Zettel stand, das Rad sei nicht verkehrstüchtig und müsse bis zum 8. November entfernt werden, sonst würde es verwertet.“ Doch die Frist wurde offenbar nicht abgewartet. „Am 8. Oktober wurde der Zettel angebracht, einen Tag später war das Fahrrad bereits weg“, berichtet Seffen.
Ein wichtiges soziales Angebot
Das entfernte Fahrrad war mehr als nur ein abgestelltes Zweirad. Es war ein etablierter Teil eines stadtweiten Netzwerks zur Lebensmittelrettung. Ausgestattet mit großen grauen Boxen, diente es als zentrale Anlaufstelle für Menschen, die auf gespendete Lebensmittel angewiesen sind, sowie für jene, die ein Zeichen gegen Verschwendung setzen wollen.
„Jedes Kind in Köln weiß, dass diese Art von Fahrrad dafür da ist, Brot und Backwaren für Bedürftige bereitzuhalten“, erklärt Seffen. Die Initiative wurde von lokalen Partnern getragen. Unter anderem stellten der nahegelegene Rewe-Markt Ridders und das Hotel Urban Loft regelmäßig übrig gebliebene Backwaren vom Frühstücksbuffet zur Verfügung.
Was sind Fahrrad-Fairteiler?
Fahrrad-Fairteiler sind umfunktionierte Lastenräder oder Fahrräder mit Transportboxen, die an festen Standorten im öffentlichen Raum platziert werden. Sie dienen als Umschlagplatz für gerettete Lebensmittel. Ehrenamtliche sammeln nicht verkaufte, aber noch genießbare Ware von Supermärkten, Bäckereien oder Hotels ein und legen sie in die Boxen. Jeder kann sich dort kostenlos bedienen. Diese Projekte fördern Nachhaltigkeit und unterstützen Menschen mit geringem Einkommen.
Ehrenamtliche zeigen sich enttäuscht
Kalle Gerigk, in Köln auch als „Mietrebell“ bekannt, ist seit elf Jahren in der Lebensmittelrettung aktiv. Er bestückte nicht nur den Fairteiler im Eigelstein, sondern auch weitere Standorte im Agnesviertel, in Ehrenfeld und Zollstock. Er kann die Aktion der Stadt nicht nachvollziehen.
„Wir haben das Rad gepflegt und sauber gehalten. Es wurde ja nie bewegt“, sagt Gerigk. Er berichtet, dass sich an den Fairteilern oft lange Schlangen bilden, was den Bedarf an solchen Angeboten verdeutliche. „Die Plätze der Fahrrad-Fairteiler in der Stadt sind doch bekannt!“
Die Initiative hinter dem Projekt fühlt sich von der Verwaltung übergangen. Die plötzliche Entfernung eines funktionierenden sozialen Angebots aufgrund einer bürokratischen Einstufung als „Schrottfahrrad“ sei ein Schlag für das ehrenamtliche Engagement im Viertel.
Suche nach dem verschwundenen Rad
Auch der Bürgerverein Eigelstein schaltete sich ein. Die Vorsitzende Katharina Fillmore versuchte, den Verbleib des Fahrrads zu klären. „Ich habe eine Stunde lang mit der Stadt telefoniert, aber niemand wusste, wo das Fahrrad ist. Ich wurde sogar an das Bürgertelefon verwiesen“, erzählt sie verärgert.
Nach zahlreichen Telefonaten erfuhr sie schließlich von einer Mitarbeiterin des Ordnungsamtes, dass das Rad zum Wertstoffhof in Nippes gebracht wurde. Auf die Frage, wie so etwas zukünftig verhindert werden könne, erhielt sie eine für sie unverständliche Antwort: „Sie sagte, wir sollten dafür sorgen, dass das Fahrrad verkehrstüchtig ist.“
Fakten zur Lebensmittelverschwendung
- In Deutschland werden jährlich rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle erzeugt.
- Private Haushalte sind für über die Hälfte (59 %) dieser Abfälle verantwortlich.
- Projekte wie die Fahrrad-Fairteiler tragen dazu bei, einen Teil der noch genießbaren Lebensmittel vor der Entsorgung zu bewahren.
Stadt beruft sich auf Beschwerde
Die Stadt Köln hat inzwischen auf Anfrage Stellung bezogen. Laut Presseamt ging die Aktion auf die Beschwerde einer anwohnenden Person über die „Sag's uns App“ zurück. Das Fahrrad sei darin als mutmaßliches Schrottfahrrad gemeldet worden.
„Mitarbeitende des Ordnungsamtes schauten es an und stellten fest, dass es sich um ein nicht mehr fahrtüchtiges Fahrrad handelt und beklebten es mit einem gelben Zettel“, erklärt Stadtsprecherin Sabine Wotzlaw. Ihrer Darstellung nach wurde das Rad erst entfernt, nachdem sich innerhalb der vierwöchigen Frist niemand gemeldet hatte – eine Darstellung, die den Aussagen der Helfer vor Ort widerspricht.
Die Stadt räumt ein, dass der Zweck des Fahrrads nicht erkannt wurde. „Dass es sich um ein sogenanntes Lebensmittel-Fahrrad handelt, war nicht zu erkennen“, so Wotzlaw. Große Boxen würden auch für andere Transportzwecke genutzt.
Ein Kompromiss in Sicht?
Nachdem die Initiative den Verlust beim Ordnungsamt meldete und den Zweck des Fahrrads erklärte, zeigt sich die Stadt nun gesprächsbereit. „Damit auch künftig am Stavenhof Lebensmittel gespendet werden können, wird versucht, das Fahrrad vom Wertstoffhof zurückzuholen“, kündigte die Sprecherin an.
Für die Helfer und den Bürgerverein bleibt die Hoffnung, dass der Fairteiler bald an seinen angestammten Platz zurückkehrt und die Kommunikation mit der Stadtverwaltung in Zukunft besser funktioniert, damit soziale Projekte nicht durch bürokratische Prozesse gefährdet werden.




