Die Kölner Punk- und Hardcore-Szene durchlief von 2000 bis 2020 eine tiefgreifende Transformation. Einst in kleine, voneinander getrennte Gruppen zersplittert, hat sie sich durch neue Kommunikationswege und eine junge, engagierte Generation zu einem vernetzten und dynamischen Ökosystem entwickelt. Zeitzeugen berichten von den Herausforderungen der frühen Jahre und der Wiederbelebung nach der Corona-Pandemie.
Wichtige Erkenntnisse
- In den frühen 2000er Jahren war die Kölner Szene stark fragmentiert und in einzelne Cliquen aufgeteilt.
- Radiosendungen wie „Hellfire“ auf Kölncampus spielten eine entscheidende Rolle bei der Vernetzung der verschiedenen Gruppen.
- Die Kommunikation verlagerte sich von analogen Flyern über Online-Foren hin zu sozialen Netzwerken wie Instagram.
- Während der Corona-Pandemie entstand eine neue, junge und stilistisch offene Hardcore-Generation in Köln.
Zerklüftete Anfänge im neuen Jahrtausend
Zu Beginn der 2000er Jahre war die Kölner Punk- und Hardcore-Szene weit von einer Einheit entfernt. Statt eines großen Miteinanders existierten zahlreiche kleine Gruppen, die oft nur in ihren eigenen Stadtteilen aktiv waren und kaum Kontakt zueinander hatten. „Ich musste feststellen, dass hier viele Leute aneinander vorbeileben“, erinnert sich Nils, der damals aus dem Ruhrgebiet nach Köln kam und die dortige vernetzte Szene gewohnt war.
Diese Zersplitterung hatte praktische Konsequenzen. Mac, der seit 2002 die einflussreiche Radiosendung „Hellfire“ auf Kölncampus moderierte, beschreibt das Problem: „Es kam oft vor, dass wochenlang keine guten Konzerte stattfanden und dann an einem einzigen Tag gleich mehrere – weil niemand wusste, was die anderen machen.“ Die Kommunikation lief hauptsächlich über Flyer oder persönliche Kontakte, was die Planung erschwerte.
Verschiedene Szenen an verschiedenen Orten
Die Fragmentierung spiegelte sich auch in den Treffpunkten wider. Laut Mac gab es im „Sonic Ballroom“ eine Szene, die sich auf Punk und Garage-Rock konzentrierte. Im „Rhenania“ traf sich eine andere Gruppe, während die Deutschpunk-Fraktion oft kein festes Zuhause hatte. Konzerte fanden an Orten wie dem Bürgerzentrum Ehrenfeld oder dem alten Autonomen Zentrum (AZ) an der Luxemburger Straße statt.
René, der heute das Fanzine „Forced Narrative“ herausgibt, zog Anfang der 2000er Jahre nach Köln und erlebte diese Zersplitterung ebenfalls. Er beschreibt die damalige Hardcore-Szene als überschaubar, mit nur wenigen aktiven Bands wie Kingdom, Cobretti oder My Defense, die oft Konzerte in Proberäumen organisierten.
Die Rolle der Medien im Wandel
Radio als Brückenbauer
In diesem fragmentierten Umfeld übernahmen alternative Medien eine wichtige Verbindungsfunktion. Die Radiosendung „Hellfire“ wurde gezielt ins Leben gerufen, um ein Netzwerk zu schaffen. „Wir bekamen mit, dass sich ganz eigene Szenen trafen, die nicht miteinander vernetzt waren“, erklärt Mac. Die Sendung bot lokalen Bands eine Plattform, lud Musiker ins Studio ein und berichtete über Konzerte.
Ein besonderes Highlight waren die jährlichen Live-Übertragungen aus dem „Sonic Ballroom“, bei denen Bands wie die „Spermbirds“ für wenig Geld auftraten. „Das war mega – Leute sind Taxi gefahren, der Taxifahrer hat die Frequenz 100 eingestellt und dann ballerte da Live-Punkrock durch die Boxen“, so Mac. Dies habe den Bekanntheitsgrad der Sendung und der Szene enorm vergrößert.
Von Foren zu Instagram
Mit der zunehmenden Verbreitung des Internets veränderten sich die Kommunikationswege erneut. Was früher über Flyer und Mundpropaganda lief, fand nun in Online-Foren statt. René erinnert sich an die Zeit der „Bulletin-Boards“ um 2001, wo sich Musikfans intensiv über seltene Aufnahmen oder Bands austauschten.
Heute haben soziale Netzwerke diese Rolle übernommen. „Durch Social Media komme ich heutzutage mit Leuten in Kontakt, bei denen das früher gar nicht möglich gewesen wäre“, sagt René. Instagram und Telegram sind die zentralen Kanäle geworden, über die Konzerttermine und Informationen verbreitet werden. Dies führt jedoch auch dazu, dass ältere Szenemitglieder ohne Social-Media-Konten oft nicht mehr alles mitbekommen.
Hardcore als persönliche Ausdrucksform
Für viele war Hardcore mehr als nur Musik. Mac, heute 58, entschied sich bewusst für diese Subkultur, weil sie im Gegensatz zur oft gewalttätigen Punkszene seiner Jugend auch nachdenkliche Töne anschlug. „Ich kannte Leute, die waren eine Woche Punk und in der nächsten Skin, nur, weil sie der jeweils anderen Seite aufs Maul hauen wollten“, erzählt er.
„Hardcore hat mich mehr interessiert, weil es dort auch nachdenkliche Stimmen gab, Leute, die sich leiser zu Themen geäußert haben.“ – Mac, Radiomoderator
Mit dem Aufkommen des Hardcore begannen Bands, persönliche Themen in ihren Texten zu verarbeiten. Es ging nicht mehr nur darum, wer am härtesten war, sondern auch um eigene Gefühle und Zweifel. „Man konnte sagen: ‚Scheiße, ich bin irgendwo verzweifelt und weiß nicht mehr weiter‘“, beschreibt Mac die neue emotionale Tiefe der Musik.
Der Aufstieg des New York Hardcore
In den 1990er Jahren erlebte Hardcore einen kommerziellen Höhepunkt. Insbesondere Bands des New York Hardcore, der Mitte der 80er Jahre aus der dortigen Punkszene entstanden war, wurden von großen Plattenfirmen unter Vertrag genommen und feierten Erfolge auch außerhalb der Szene.
Diese Entwicklung stieß jedoch nicht bei allen auf Gegenliebe. Nils fremdelte lange mit der Szene der frühen 90er. „Mir gefiel der Habitus der Fans dieser Sparte nicht. Die fanden sich zu cool und hatten die Verbindung zum Punk nicht mehr“, erklärt er, warum er erst später zur Hardcore-Musik fand.
Eine neue Generation belebt die Szene
Ein entscheidender Wendepunkt für die Kölner Szene kam mit der Corona-Pandemie. „Während Corona haben junge Leute angefangen, sich mit Hardcore zu beschäftigen“, berichtet René. Diese neue Generation ist stilistisch offener, politisch aktiver und vor allem digital hervorragend vernetzt.
Diese jungen Bands und Fans sind nicht nur in Köln aktiv, sondern pflegen enge Kontakte zu Szenen in anderen Städten wie Düsseldorf und Hannover, aber auch international nach Belgien und in die USA. Die Kölner Band Echo Chamber ist ein Beispiel für diese neue, global ausgerichtete Generation.
Verbindungen zu anderen Subkulturen
Die heutige Szene zeichnet sich auch durch ihre Offenheit gegenüber anderen Subkulturen aus. Eine besonders starke Verbindung besteht zur BMX-Szene. Das „Hammer & Nails“-Festival in den Abenteuerhallen Kalk brachte beide Welten zusammen. Maßgeblich daran beteiligt war der Kölner BMX-Profi Felix Prangenberg, der seine Kontakte in die amerikanische Sportszene nutzte.
Die neuen Veranstaltungsorte sind vielfältig und reichen von etablierten Clubs bis zu alternativen Räumen wie dem „Quattro Cultura“ in einem Wohngebiet in Rodenkirchen. Diese Vielfalt zeigt die Lebendigkeit und Kreativität der aktuellen Kölner Hardcore- und Punkszene.
Nils und Mac beobachten diese Entwicklung mit großem Interesse. „Wir interessieren uns für die junge Hardcore-Szene, wir gehen auch auf die Shows“, sagt Nils. „Wir sind natürlich Jahrzehnte älter als die anderen, aber das ist völlig egal. Die machen die Sache toll, und es ist super, dass es eine junge Szene gibt.“




