Zwei Jahre nach dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober verzeichnen die Behörden in Nordrhein-Westfalen einen deutlichen Anstieg antisemitischer Straftaten. Die jüdische Gemeinschaft fühlt sich zunehmend unsicher, während Politiker und Beauftragte zum Handeln aufrufen und die Sicherheitsmaßnahmen verschärft werden.
Innenminister Herbert Reul (CDU) und die Antisemitismusbeauftragte des Landes, Sylvia Löhrmann, äußern sich besorgt über die Entwicklung und betonen die Notwendigkeit, jüdisches Leben zu schützen und den Hass in der Gesellschaft zu bekämpfen.
Die wichtigsten Fakten
- Antisemitische Straftaten in NRW sind zwischen 2023 und 2024 um 27 Prozent gestiegen.
- Die Sicherheitsbehörden stufen die Gefährdung für jüdische Einrichtungen als abstrakt hoch ein.
- Die Antisemitismusbeauftragte des Landes beobachtet eine wachsende Verunsicherung und Angst in der jüdischen Gemeinschaft.
- Politiker fordern ein konsequentes Vorgehen gegen Antisemitismus in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Sicherheitslage in NRW bleibt angespannt
Am zweiten Jahrestag des Terrorangriffs auf Israel haben die Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen ihre Wachsamkeit erhöht. Jüdische Einrichtungen wie Synagogen und Gemeindezentren stehen unter besonderem Schutz der Polizei, um potenzielle antisemitische Übergriffe zu verhindern.
Landesinnenminister Herbert Reul bestätigte die verstärkten Maßnahmen. „An jedem Tag, aber an diesem Tag ganz besonders, achtet die Polizei auf Synagogen und andere jüdische Einrichtungen“, erklärte der CDU-Politiker. Diese Vorsicht ist eine direkte Reaktion auf die angespannte Sicherheitslage, die sich seit dem Angriff und dem darauffolgenden Gaza-Krieg entwickelt hat.
Abstrakte Gefahr für jüdische Einrichtungen
Ein Sprecher des Innenministeriums teilte mit, dass für jüdische und israelische Personen sowie Einrichtungen in NRW „grundsätzlich“ eine „abstrakt hohe Gefährdung“ bestehe. Diese Einschätzung sei jedoch unabhängig von aktuellen Ereignissen wie dem Gaza-Krieg oder dem Konflikt mit dem Iran. Konkrete Hinweise auf eine unmittelbare Bedrohung liegen den Behörden derzeit nicht vor.
Reul verwies auch auf einen tödlichen Anschlag in Manchester, bei dem zwei Mitglieder der dortigen jüdischen Gemeinde ums Leben kamen. Dieser Vorfall zeige, „wie tödlich Antisemitismus sein kann“. Besonders erschütternd sei, dass der Angriff ausgerechnet an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, stattfand.
Statistiken belegen Zunahme von Judenhass
Die Besorgnis der Behörden wird durch offizielle Zahlen untermauert. Die Zahl der antisemitisch motivierten Straftaten in Nordrhein-Westfalen hat in den vergangenen Jahren signifikant zugenommen.
Anstieg um 27 Prozent
Laut offiziellen Angaben stieg die Zahl der registrierten antisemitischen Delikte von 547 im Jahr 2023 auf 695 im Jahr 2024. Dies entspricht einem Anstieg von 27 Prozent. Daten für das laufende Jahr sind noch nicht vollständig ausgewertet, doch die Tendenz gibt Anlass zur Sorge.
Diese Entwicklung spiegelt einen bundesweiten Trend wider, der Experten und politische Entscheidungsträger alarmiert. Der Anstieg umfasst verschiedene Deliktarten, von Volksverhetzung und Sachbeschädigung bis hin zu Gewalttaten.
Reuls Appell gegen Antisemitismus
Innenminister Reul bekräftigte die Verpflichtung der Landesregierung, jüdisches Leben zu schützen. Er formulierte einen klaren Appell an die Gesellschaft, dem Hass entgegenzutreten.
„Wir müssen jüdisches Leben beschützen - heute, morgen und an jedem anderen Tag. Antisemitismus vergiftet unser Miteinander. Deswegen gehört er in Chatforen gelöscht, runter von den Straßen und raus aus den Köpfen.“
Diese Aussage unterstreicht die Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes, der sowohl die digitale als auch die reale Welt umfasst. Es gehe darum, die Wurzeln des Hasses zu bekämpfen und nicht nur seine Symptome.
Die Perspektive der jüdischen Gemeinschaft
Sylvia Löhrmann, die Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, beschreibt die Stimmung innerhalb der jüdischen Gemeinden als eine Mischung aus Verunsicherung und Enttäuschung. Zwei Jahre nach dem Angriff der Hamas, den sie als das „schlimmste Massaker an Jüdinnen und Juden seit den Gräueltaten der Nationalsozialisten im Holocaust“ bezeichnete, sei die Lage weiterhin angespannt.
Sie berichtet von einem „erschreckenden Ausmaß an antisemitischen Vorfällen und antisemitisch motivierten Straftaten“ direkt hier in Nordrhein-Westfalen. Dieser Zustand halte leider an und belaste die Menschen in ihrem Alltag stark.
Psychische Belastung und Retraumatisierung
Löhrmann betont die tiefgreifenden psychologischen Folgen für die Betroffenen. Aufrufe zur Vernichtung Israels, die offene Unterstützung der Hamas oder die Relativierung des Holocaust seien keine abstrakten politischen Debatten, sondern direkte Bedrohungen.
- Angst um die Sicherheit: Viele Menschen fürchten um ihre eigene Sicherheit und die ihrer Familien.
- Alltägliche Konfrontation: Jüdinnen und Juden erleben den Hass in ihrem direkten Umfeld.
- Generationenübergreifende Traumata: „Re-Traumatisierungen finden in hohem Maße statt, bis hinein in die jüngere Generation“, so Löhrmann.
Aus zahlreichen Gesprächen wisse sie, wie stark diese Erfahrungen die Menschen belasten. Die ständige Konfrontation mit Hass und Hetze hinterlässt tiefe Spuren und führt zu einem Gefühl der Isolation.
Forderung nach gesellschaftlicher Solidarität
Angesichts dieser Entwicklungen sieht Löhrmann nicht nur die Politik in der Pflicht. Zwar sei es wichtig, dass der Landtag und die Landesregierung eine klare Haltung zeigen, doch das allein reiche nicht aus.
Sie appelliert an die Mehrheitsgesellschaft, sich stärker als bisher solidarisch zu zeigen. Schweigen oder Wegschauen dürfe keine Option sein. Jeder Einzelne sei gefordert, bei antisemitischen Äußerungen oder Handlungen einzugreifen und Zivilcourage zu zeigen.
Löhrmann schließt mit einer eindringlichen Mahnung: „Denn der Kampf gegen den Antisemitismus ist Arbeit an unserer aller Demokratie.“ Der Schutz von Minderheiten und die Bekämpfung von Hass seien grundlegende Pfeiler einer freien und offenen Gesellschaft.




