Zwei Jahre nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 beschreiben Deutsch-Palästinenser in Nordrhein-Westfalen ein Gefühl der Ausgrenzung und Kriminalisierung. Sie berichten von persönlichem Leid, dem Verlust zahlreicher Familienmitglieder und kritisieren die Haltung der deutschen Politik, die ihre Trauer und ihren Protest erschwere.
Betroffene schildern, wie die palästinensische Gemeinschaft enger zusammengerückt sei, um dem äußeren Druck standzuhalten. Gleichzeitig formulieren sie klare Forderungen an die Bundesregierung, darunter die Beendigung der militärischen Zusammenarbeit mit Israel und eine stärkere humanitäre Unterstützung für die Menschen im Gazastreifen.
Wichtige Erkenntnisse
- Deutsch-Palästinenser in NRW fühlen sich in ihrer Trauer um Familienangehörige nicht anerkannt und in ihrem Protest kriminalisiert.
- Viele haben durch israelische Militäraktionen eine hohe Zahl an Verwandten verloren, in einem Fall über 80 Personen.
- Sie kritisieren die deutsche Politik für ihre als einseitig empfundene Unterstützung Israels und fordern ein Umdenken.
- Trotz des Drucks ist die palästinensische Gemeinschaft nach eigenen Angaben enger zusammengewachsen.
- Die Betroffenen betonen ihre klare Ablehnung von Antisemitismus und unterscheiden zwischen Kritik an der israelischen Regierung und Feindseligkeit gegenüber Juden.
Persönliche Schicksale hinter den Schlagzeilen
Für viele Deutsch-Palästinenser in Nordrhein-Westfalen ist der 7. Oktober 2023 ein Datum, das ihr Leben nachhaltig verändert hat. Einer von ihnen ist Jules El-Khatib, ein 34-jähriger Hochschuldozent für Soziale Arbeit aus Essen. Er verurteilte den Angriff der Hamas auf Zivilisten damals umgehend in den sozialen Medien mit den Worten: „Gewalt gegen Zivilisten ist niemals legitim.“
Seitdem ist El-Khatib, der nach eigenen Angaben 20 Familienmitglieder durch israelische Militäraktionen verloren hat, zu einer prominenten Stimme bei pro-palästinensischen Demonstrationen geworden. Er setzt sich für einen Waffenstillstand, humanitäre Hilfe und die Freilassung aller Geiseln ein, sowohl der israelischen als auch der palästinensischen.
Auch Iman Abu El Qomsan, eine Ingenieurin und Studentin der Wirtschaftschemie, ist persönlich tief betroffen. Sie berichtet vom Verlust von mehr als 80 Familienmitgliedern im Gazastreifen durch israelische Angriffe.
„Meine Verbindung zu Gaza ist nicht nur geografisch, sondern existentiell. Dort leben meine Familie, meine Freunde, mein Herz. Viele, die ich liebte, sind noch unter Trümmern oder für immer verloren“, sagt sie.
Diese persönlichen Verluste prägen den Alltag und die Gefühlswelt vieler Palästinenser in Deutschland, die sich oft zwischen der Sicherheit hier und dem Schmerz über die Ereignisse in ihrer Heimat zerrissen fühlen.
Das Gefühl der Ausgrenzung in Deutschland
Ein zentrales Thema, das von Mitgliedern der palästinensischen Gemeinschaft immer wieder angesprochen wird, ist das Gefühl, in Deutschland nicht gehört und missverstanden zu werden. Jules El-Khatib beschreibt eine Atmosphäre, in der Trauer und Protest schnell unter Generalverdacht gestellt werden.
„Wir fühlen uns hilflos, weil unsere Trauer anfangs unterdrückt, unser Protest kriminalisiert und unsere Wut delegitimiert wurde“, erklärt El-Khatib. Er schildert, dass Palästinenser genau abwägen müssten, wie sie ihre Identität oder den Tod von Angehörigen öffentlich thematisieren, um nicht als Antisemiten abgestempelt zu werden. Dieses Gefühl der Stigmatisierung führt zu erheblichem Druck.
Hintergrund: Die Palästinensische Gemeinschaft in NRW
Nordrhein-Westfalen beheimatet eine der größten palästinensischen Gemeinschaften in Deutschland. Genaue Zahlen sind schwer zu erfassen, da Palästinenser oft unter anderen Staatsangehörigkeiten (z.B. libanesisch, syrisch oder staatenlos) registriert sind. Die Gemeinschaft ist heterogen, doch der Konflikt im Nahen Osten hat laut Aussagen von Betroffenen zu einem stärkeren inneren Zusammenhalt geführt.
Auch Iman Abu El Qomsan kennt dieses Dilemma. „Einerseits bin ich dankbar für die Sicherheit hier, andererseits tut es weh, wenn man schweigen muss, weil jede Solidarität sofort politisch verdächtig wirkt“, sagt sie. Der äußere Druck und die Angst vor Missverständnissen hätten Spuren hinterlassen, obwohl die Gemeinschaft versuche, sich gegenseitig zu stützen.
Abgrenzung von Antisemitismus
Trotz der Kritik an der israelischen Regierungspolitik legen die Befragten großen Wert auf eine klare Abgrenzung von Antisemitismus. Jules El-Khatib betont, dass Protest gegen die Politik einer Regierung legitim sei, sich aber niemals gegen Juden als solche richten dürfe.
„Aber Jüdinnen und Juden sind niemals unsere Feinde. Als Palästinenser sage ich: Antisemitismus ist niemals in unserem Namen“, stellt El-Khatib klar.
Diese Differenzierung ist für viele in der Community entscheidend, da sie befürchten, dass ihre Kritik pauschal als judenfeindlich interpretiert wird, was den öffentlichen Diskurs zusätzlich erschwert.
Kritik an der deutschen Politik und konkrete Forderungen
Die Haltung der deutschen Bundesregierung im Nahostkonflikt stößt bei vielen Deutsch-Palästinensern auf Unverständnis und Enttäuschung. Sie kritisieren vor allem die als bedingungslos wahrgenommene Unterstützung für Israel und die fortgesetzten Waffenlieferungen.
Iman Abu El Qomsan formuliert ihre Kritik direkt: „Deutschland redet von Neutralität und Frieden. Praktisch geschieht aber zu wenig. Die deutsche Politik unterstützt Israel oft kritiklos, während die Menschen in Gaza unter israelischen Bomben leiden und getötet werden.“
Aus dieser Kritik leiten sie konkrete politische Forderungen ab. Sie appellieren an die Bundesregierung, „menschlich“ zu handeln. Dazu gehören aus ihrer Sicht folgende Schritte:
- Sofortiger Stopp jeglicher militärischer Zusammenarbeit mit der israelischen Regierung.
- Verstärkte Anstrengungen, um mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu bringen, insbesondere Wasser, Nahrungsmittel und Medikamente.
- Verhängung von Sanktionen gegen Unternehmen und Politiker, die die Besatzung im Westjordanland oder Kriegsverbrechen in Gaza unterstützen.
Diese Forderungen spiegeln den Wunsch wider, dass Deutschland seiner Verantwortung für die Menschenrechte und das Völkerrecht stärker nachkommt.
Zahlen und Fakten
Die persönlichen Berichte über Verluste stehen im Kontext der vom Gesundheitsministerium in Gaza gemeldeten Opferzahlen. Diese Zahlen werden von internationalen Organisationen wie der UN als glaubwürdig eingestuft, auch wenn eine unabhängige Überprüfung vor Ort schwierig ist. Die humanitäre Lage wird von Hilfsorganisationen seit Monaten als katastrophal beschrieben.
Ein Wunsch nach Frieden und Anerkennung
Trotz der politischen Forderungen und der tiefen Enttäuschung steht am Ende bei vielen der einfache menschliche Wunsch nach einem Ende der Gewalt im Vordergrund. Die Betroffenen sind nach zwei Jahren des Konflikts und der permanenten Sorge um Angehörige erschöpft.
Jules El-Khatib fasst die Sehnsucht vieler in der palästinensischen Gemeinschaft in Deutschland zusammen: „Wir möchten einfach einmal in Ruhe durchatmen, trauern und hoffen, dass die Gewalt endlich endet.“
Dieser Wunsch nach Normalität, nach einem Leben ohne die ständige Angst vor Bombenangriffen für ihre Familien, verbindet die Menschen. Während die politische Lage komplex bleibt, ist ihre Hoffnung auf einen dauerhaften Waffenstillstand und eine anerkannte, friedliche Zukunft ungebrochen.




