Das Land Nordrhein-Westfalen hat ein neues Pilotprojekt zur Gewaltprävention an Schulen gestartet, an dem sich auch zwei Kölner Schulen beteiligen. Das Programm „Miteinander stark, sicher – gemeinsam für eine gewaltfreie Schule“ bringt Lehrkräfte, Schüler und Polizisten zusammen, um Konflikte frühzeitig zu entschärfen und das Vertrauen in die Polizei zu stärken. Ziel ist es, auf die wahrgenommene Zunahme von Aggressivität an Schulen zu reagieren, obwohl die offiziellen Zahlen ein differenziertes Bild zeichnen.
Das Wichtigste in Kürze
- Zwei Kölner Schulen, die Henry-Ford-Realschule und das Genoveva-Gymnasium, nehmen an einem NRW-weiten Anti-Gewalt-Pilotprojekt teil.
- Das Programm umfasst Deeskalationstrainings für Lehrer und den Einsatz von zivilen Polizeibeamten im Unterricht sowie in den Pausen.
- Während die Zahl der Polizeieinsätze an Kölner Schulen gestiegen ist, sehen die beteiligten Schulleiter die Entwicklung differenziert und berichten nicht von einem generellen Anstieg der körperlichen Gewalt.
- Ein zentrales Ziel ist es, Vorurteile abzubauen und das Vertrauensverhältnis zwischen Schülern und der Polizei zu verbessern.
Ein Pilotprojekt gegen die Gewalt
Angesichts der öffentlichen Debatte über zunehmende Jugendkriminalität hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen ein neues Präventionsprogramm ins Leben gerufen. Insgesamt 20 Schulen im Bundesland nehmen an dem Projekt teil, das darauf abzielt, Gewaltpotenzial frühzeitig zu erkennen und abzubauen. In Köln sind die Henry-Ford-Realschule in Seeberg und das Genoveva-Gymnasium in Mülheim beteiligt.
Das Programm basiert auf drei Säulen. Erstens erhalten Lehrkräfte spezielle Deeskalationstrainings, um in Konfliktsituationen angemessen reagieren zu können. Zweitens besuchen zivile Kriminalbeamte den Unterricht, um Schüler für das Thema Gewalt zu sensibilisieren und Lösungsstrategien aufzuzeigen. Die dritte Säule sind sogenannte „Pausengespräche“, bei denen Polizisten auf dem Schulhof präsent sind, um als Ansprechpartner zu fungieren und eine sichere Atmosphäre zu schaffen.
„Wir sehen bei Kinder- und Jugendkriminalität Entwicklungen, die uns besorgen. Immer mehr junge Menschen neigen zu Gewalt. Wir müssen frühzeitig ansetzen, um Schülerinnen und Schülern zu zeigen, wie sie Konflikte gewaltfrei lösen können.“ – Herbert Reul, NRW-Innenminister
Die Initiative soll eine direkte Antwort auf die Sorgen vieler Eltern und Lehrkräfte sein. Laut einer bundesweiten Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung meldeten 43 Prozent der Schulen Angriffe auf Lehr- und Schulkraft. In Köln stieg die Zahl der Polizeieinsätze an Schulen laut städtischen Angaben innerhalb eines Jahres von 1.500 auf 2.000.
Statistiken zur Gewalt an Schulen in NRW
Die polizeilich erfassten Straftaten an Schulen in Nordrhein-Westfalen zeigen seit 2022 ein stabiles Niveau. Wurden 2010 rund 25.000 Fälle registriert, lag die Zahl auch im vergangenen Jahr in einer ähnlichen Größenordnung. Die Zahl der Polizeieinsätze wegen Gewaltdelikten ist jedoch gestiegen: von 91 im Jahr 2010 auf 413 im gesamten Vorjahr. Die Kölner Polizei hingegen berichtet, dass die Fallzahlen im Bereich Bedrohung und Körperverletzung in den letzten drei Jahren nicht zugenommen hätten.
Die Sicht der Kölner Schulleitungen
Die Leiter der beiden teilnehmenden Kölner Schulen betrachten das Thema Gewalt und das neue Projekt aus einer differenzierten Perspektive. Sie bestätigen, dass Konflikte zum Schulalltag gehören, sehen aber keine dramatische Eskalation der körperlichen Gewalt in den letzten Jahren.
Henry-Ford-Realschule: Prävention als Daueraufgabe
Markus Jansen, Schulleiter der Henry-Ford-Realschule in Seeberg, erklärt, dass die Polizei zwar gelegentlich gerufen werden müsse, das Gewaltniveau an seiner Schule aber nicht spürbar gestiegen sei. „Man würde sich in die Tasche lügen, wenn man sagen würde, das gibt es nicht“, so Jansen. „Aber körperliche und psychische Gewalt – all das hatten wir vor acht Jahren auch schon.“
Er betont, dass seine Schule bereits seit langem auf Prävention setzt. Es gibt ausgebildete Streitschlichter und Pausenhelfer, spezielle Klassentrainings und Projekte gegen Mobbing und Cybermobbing. Das neue Programm sieht er als eine sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Maßnahmen.
Genoveva-Gymnasium: Ängste abbauen und Vertrauen schaffen
Susanne Gehlen, die Leiterin des Genoveva-Gymnasiums in Mülheim, war zunächst skeptisch, als ihre Schule für das Projekt angefragt wurde. „Ich dachte mir: Das ist ein Griff in die Klischeekiste, weil wir in einem von Armut betroffenen Gebiet liegen“, gibt sie zu. Entgegen der oft populistisch geführten öffentlichen Debatte nehme die Gewalt an ihrer Schule eher ab. In den letzten drei Jahren könne sie sich nur an einen Polizeieinsatz wegen Vandalismus erinnern.
Allerdings habe die Zahl der Beleidigungen in sozialen Medien, auch gegenüber Lehrkräften, zugenommen. Gehlen sieht den größten Nutzen des Projekts darin, die Berührungsängste der Schüler gegenüber der Polizei abzubauen. „Viele kommen aus einer Community, in der man das Gefühl hat, die Polizei sei nicht für sie da“, erklärt sie. Das Projekt biete die Chance, Polizisten als Helfer und Ansprechpartner kennenzulernen und so das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken.
Fokus auf Cybermobbing
Während schwere körperliche Auseinandersetzungen an den beteiligten Schulen nicht signifikant zugenommen haben, berichten Schulleiter von einer Zunahme verbaler Gewalt. Insbesondere Beleidigungen und Bedrohungen über soziale Medien und Messenger-Dienste stellen eine wachsende Herausforderung dar und sind Teil der Sensibilisierungsarbeit im neuen Projekt.
Mehr als nur Präsenz zeigen
Das Projekt „Miteinander stark, sicher“ geht über reine Polizeipräsenz hinaus. Es soll ein Dialog auf Augenhöhe entstehen, bei dem die Schüler lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen und die Rolle der Polizei in der Gesellschaft zu verstehen. Die zivilen Beamten sollen nicht als Autoritätspersonen auftreten, die Strafen verhängen, sondern als Partner, die Unterstützung anbieten.
Für die Schulen ist es eine Gelegenheit, ihre Präventionsarbeit mit professioneller Unterstützung zu vertiefen. Die ersten Vorgespräche zwischen den Schulen und der Polizei haben bereits stattgefunden, und das Projekt wird in den kommenden Wochen anlaufen. Ob die Kombination aus Training, Aufklärung und Dialog den Schulalltag nachhaltig friedlicher gestalten kann, wird die Auswertung des Pilotprojekts zeigen.




