Die Zahl der aus der Ukraine nach Deutschland kommenden Menschen steigt seit September wieder an. Obwohl diese Entwicklung in vielen Kommunen Nordrhein-Westfalens noch nicht direkt spürbar ist, warnen Städte und Gemeindebund vor einer drohenden Überlastung. Kapazitäten werden knapp, und die Integration der bereits aufgenommenen Flüchtlinge stellt weiterhin eine große Herausforderung dar.
Wichtigste Erkenntnisse
- NRW verzeichnet seit September wieder mehr ukrainische Flüchtlinge.
- Kommunen spüren den Anstieg noch nicht direkt, warnen aber vor zukünftiger Überlastung.
- Städte wie Wesel verlieren 2025 rund 200 Unterbringungsplätze.
- Der Städte- und Gemeindebund fordert mehr finanzielle Unterstützung von Bund und Land.
- Über 1,2 Millionen Ukrainer sind in Deutschland registriert; die genaue Zahl der Ausreisen bleibt unklar.
Anstieg der Flüchtlingszahlen in NRW
Nach einem Rückgang im Sommer verzeichnet Nordrhein-Westfalen seit September wieder einen deutlichen Anstieg bei der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge. Während in den Sommermonaten Juli und August lediglich 400 bis 500 Personen monatlich nach NRW kamen, stieg die Zahl im September und Oktober auf rund 1.300 Neuaufnahmen pro Monat.
Diese Entwicklung folgt einem bundesweiten Trend. Im Mai wurden 7.961 Ukrainer über das System „Free“ auf die Länder verteilt, im August waren es 11.277 und im September sogar 18.755. Die Verteilung erfolgt nach dem Königsteiner Schlüssel.
Faktencheck
- Ukrainische Neuankünfte in Deutschland:
- Mai: 7.961 Personen
- August: 11.277 Personen
- September: 18.755 Personen
- Insgesamt sind in Deutschland 1.293.672 Ukrainer registriert.
Kommunen noch ohne direkten Anstieg
Trotz der landesweiten Zahlen spüren viele Kommunen am Niederrhein den Anstieg der ukrainischen Flüchtlinge noch nicht direkt. Eine Umfrage in den Rathäusern von Wesel, Düsseldorf, Dinslaken, Kleve und Moers ergab, dass die Zahlen der Neuankömmlinge aus der Ukraine vor Ort derzeit nicht signifikant steigen.
Ein Stadtsprecher aus Wesel erklärte, dass die meisten Neuankünfte derzeit aus den Landeseinrichtungen kämen. Das Land reduziere aktuell seine eigenen Plätze, weshalb vermehrt Flüchtlinge aus anderen Herkunftsländern, die bereits länger in NRW leben, den Kommunen zugewiesen würden. „Solche Effekte verzögern sich immer, bis sie bei uns in den Kommunen spürbar sind“, so der Sprecher.
Kapazitäten noch ausreichend, aber mit Vorbehalt
Die befragten Städte geben an, derzeit noch über ausreichende Kapazitäten in ihren Unterkünften zu verfügen. Dies könnte sich jedoch schnell ändern. Die Stadt Kleve und Moers haben eigenen Angaben zufolge seit März bzw. April gar keine Ukrainer mehr zugewiesen bekommen.
Die Verwaltungen beobachten die Entwicklung genau, um flexibel reagieren zu können. Die aktuelle Situation bietet eine kurze Verschnaufpause, die jedoch trügerisch sein kann, wenn die Zahlen im Herbst und Winter weiter steigen.
„Allerdings muss man feststellen, dass viele Städte und Gemeinden in NRW seit langem die Grenze des Leistbaren erreicht haben.“
Warnung vor Überlastung durch den Städte- und Gemeindebund
Der Städte- und Gemeindebund NRW warnt trotz der aktuell noch rückläufigen Zahlen in vielen Kommunen vor einer drohenden Überlastung. Präsident Christoph Landscheidt betont, dass die kurzfristige Entlastung bei der Aufnahme neuer Flüchtlinge nicht über die dauerhafte Belastung hinwegtäuschen dürfe.
Die Integration der in den letzten Jahren angekommenen Menschen erfordere weiterhin erhebliche Anstrengungen und Ressourcen. Jede weitere Zuweisung erschwere diese Aufgaben zusätzlich. Landscheidt, der auch Bürgermeister von Kamp-Lintfort ist, fordert daher, dass das Land seine eigenen Kapazitäten in den Erstaufnahmeeinrichtungen beibehält.
Hintergrund: Flüchtlingsstatus
Ukrainische Schutzsuchende erhalten in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 24 des Aufenthaltsgesetzes. Dies ermöglicht ihnen einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen. Im Gegensatz dazu durchlaufen Flüchtlinge aus anderen Ländern wie Syrien oder Afghanistan oft ein längeres Asylverfahren.
Herausforderungen in Wesel: Verlust von 200 Plätzen
Die Stadt Wesel steht vor besonderen Herausforderungen. Für das kommende Jahr rechnet die Stadt mit dem Verlust von rund 200 Plätzen für Flüchtlinge. Ein altes Seniorenheim am Willibrordi-Platz, das derzeit zur Unterbringung genutzt wird, soll umgebaut und einer neuen Nutzung zugeführt werden.
Zudem wird die Hansaringschule ab dem kommenden Schuljahr wieder als Grundschule benötigt. Diese wegfallenden Kapazitäten erschweren die langfristige Planung erheblich, auch wenn die Kommunikation mit dem Land als gut beschrieben wird und man bisher immer eine Lösung gefunden hat.
Finanzielle Unterstützung ist entscheidend
Christoph Landscheidt fordert Bund und Land auf, mehr finanzielle Unterstützung bereitzustellen. Nur so könnten Städte und Gemeinden ihre Aufgaben bei der Unterbringung, Versorgung und Integration von Geflüchteten adäquat bewältigen. Die Kommunen tragen bereits eine hohe Last und benötigen dringend weitere Mittel, um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden.
Das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW (MKJFGFI) weist darauf hin, dass die Kommunen grundsätzlich für die Unterbringung zuständig sind. Um sie zu entlasten, können ukrainische Flüchtlinge zunächst in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Bochum registriert und für etwa 14 Tage im Landessystem untergebracht werden, bevor sie auf die Kommunen verteilt werden.
Unklare Ausreisezahlen
Seit Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 wurden über 1,2 Millionen Ukrainer in Deutschland erfasst. Die genaue Zahl derer, die Deutschland wieder verlassen haben, ist jedoch unklar. Das Bundesinnenministerium berichtet, dass Ende September etwa 450.000 Personen nicht mehr als „aufhältig“ registriert waren.
Diese Zahlen zeigen die Dynamik der Flüchtlingsbewegungen und die fortwährenden Herausforderungen für die Aufnahmeländer. Die Situation erfordert weiterhin eine enge Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen, um die Versorgung und Integration der Schutzsuchenden sicherzustellen.




