Die nordrhein-westfälische Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) hat die Bundesregierung eindringlich aufgefordert, einen bundesweiten Abschiebestopp für jesidische Flüchtlinge aus dem Irak zu verhängen. In einem offiziellen Schreiben an den Bundesinnenminister kritisiert sie die aktuelle Praxis und verweist auf die weiterhin lebensbedrohliche Lage für die Minderheit in ihrer Heimat.
Das Wichtigste in Kürze
- NRW-Ministerin Josefine Paul fordert einen sofortigen, bundesweiten Abschiebestopp für Jesiden in den Irak.
- Sie begründet dies mit systematischer Verfolgung und Gewalt, der die Minderheit im Irak weiterhin ausgesetzt ist.
- Ein umstrittener Abschiebefall einer Familie aus Brandenburg hat die Debatte erneut entfacht.
- Die rechtlichen Möglichkeiten für einen landesweiten Abschiebestopp in NRW sind laut Paul ausgeschöpft.
Appell an die Bundesregierung
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen erhöht den Druck auf den Bund in der Frage des Schutzes von Jesiden. Flüchtlingsministerin Josefine Paul hat sich direkt an das Bundesinnenministerium gewandt, um eine Neubewertung der Situation zu erreichen. Sie bezeichnete es als „nicht nachvollziehbar“, dass der Bund Abschiebungen in den Irak zulässt.
In dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt, argumentiert die Ministerin, dass Jesiden im Irak „weiterhin systematischer Diskriminierung, Gewalt und existenzieller Bedrohung“ ausgesetzt seien. Dieser Zustand sei unvereinbar mit der Rückführung von Schutzsuchenden in das Land.
Wer sind die Jesiden?
Die Jesiden sind eine religiöse Minderheit mit Wurzeln hauptsächlich im nördlichen Irak, in Syrien und der Türkei. Ihre monotheistische Religion verbindet Elemente verschiedener Glaubensrichtungen. Während der Herrschaft der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) wurden sie ab 2014 Opfer brutaler Verfolgung, Massenmorde, Versklavung und Vertreibung, was international als Völkermord eingestuft wird.
Umstrittene Abschiebung als Auslöser
Hintergrund des dringenden Appells ist die Abschiebung einer jesidischen Familie aus Brandenburg im Juli. Der Fall sorgte bundesweit für Kritik, da die Familie mit vier Kindern als gut integriert galt und zuvor erfolgreich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags geklagt hatte.
Tragischerweise wurde die Gerichtsentscheidung zugunsten der Familie erst bekannt, nachdem das Flugzeug mit Ziel Irak bereits gestartet war. Dieser Vorfall verdeutlicht aus Sicht von Menschenrechtsorganisationen die Schutzlücken im aktuellen System.
„Wir haben eine Verantwortung zum Schutz dieser Minderheiten. Ich bitte deswegen inständig um Prüfung, inwieweit ein bundesweiter Abschiebungsstopp umgesetzt werden kann.“
Bundestag erkennt Völkermord an
Die Forderung der NRW-Ministerin steht im Einklang mit einer früheren Entscheidung des Deutschen Bundestages. Im Januar 2023 verabschiedete das Parlament eine Resolution, die die Verbrechen des IS an den Jesiden offiziell als Völkermord anerkannte. Mit diesem Beschluss war auch die Forderung nach einem besonderen Schutzstatus für jesidische Geflüchtete in Deutschland verbunden.
Paul verweist in ihrem Brief auch auf den jüngsten Lagebericht des Auswärtigen Amtes. Selbst dieser offizielle Bericht zeichne ein Bild einer „äußerst schwierigen“ menschenrechtlichen Situation für die Minderheit im Irak, was Abschiebungen dorthin fragwürdig mache.
Lage im Irak weiterhin prekär
Auch Jahre nach der militärischen Niederlage des IS leben viele Jesiden in Flüchtlingslagern. Eine sichere Rückkehr in ihre Heimatregion Sindschar ist oft nicht möglich, da die politische Lage instabil ist und es an Sicherheit und grundlegender Infrastruktur fehlt. Viele leiden weiterhin unter den Traumata des Völkermords.
Rechtliche Mittel des Landes sind erschöpft
Nordrhein-Westfalen hatte bereits eigene Maßnahmen ergriffen, um den Schutz zu gewährleisten. Im Dezember 2023 verhängte das Land einen vorübergehenden Abschiebestopp speziell für jesidische Frauen und Mädchen. Dieser wurde einmalig bis Juni 2024 verlängert.
„Mit dieser einmaligen Verlängerung des Abschiebestopps sind unsere rechtlichen Mittel seit geraumer Zeit nun allerdings ausgeschöpft“, erklärte Ministerin Paul in ihrem Schreiben. Ein von NRW bei der Innenministerkonferenz im Sommer initiierter Vorstoß für eine bundesweite Regelung scheiterte ebenfalls.
Flüchtlingsorganisationen üben zudem regelmäßig Kritik an der Praxis der kommunalen Ausländerbehörden. Sie werfen den Behörden, auch in NRW, vor, ihren rechtlichen Ermessensspielraum bei der Prüfung von Abschiebungen von Jesiden nicht ausreichend zu nutzen und die besondere Schutzbedürftigkeit der Gruppe zu ignorieren.
Die Forderung aus Düsseldorf zielt nun darauf ab, eine einheitliche und verbindliche Schutzregelung für alle Bundesländer zu schaffen und die Verantwortung auf Bundesebene zu verankern.




