In Nordrhein-Westfalen formiert sich breiter Widerstand gegen Pläne des Landesverkehrsministeriums, die Organisation des regionalen Schienenverkehrs neu zu ordnen. Städte wie Köln befürchten den Verlust ihrer Mitspracherechte bei gleichbleibender finanzieller Verantwortung. Ein juristisches Gutachten stellt die Verfassungsmäßigkeit der Reform sogar infrage.
Wichtige Punkte
- Das NRW-Verkehrsministerium plant, den regionalen Schienenverkehr in einer neuen Landesgesellschaft zu zentralisieren.
- Kommunen sollen weiterhin zahlen und haften, aber ihr direktes Mitspracherecht verlieren.
- Ein Gutachten bewertet die geplante Landesanstalt als verfassungswidrig.
- Als Anreiz bietet das Land 1,5 Milliarden Euro für die Sicherung eines Grundangebots im Nahverkehr an.
Streit um die Kontrolle im Nahverkehr
Ein Vorhaben des nordrhein-westfälischen Verkehrsministeriums sorgt für erheblichen Unmut bei zahlreichen Kommunen, darunter auch in der Metropolregion Rheinland. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die geplante Zentralisierung des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV).
Bisher liegt die Verantwortung für die Planung und Bestellung von Regional- und S-Bahn-Leistungen bei den regionalen Aufgabenträgern. Im Rheinland ist dies ein gemeinsames Gremium der beteiligten Städte und Kreise. Dieses bewährte System soll nach den Vorstellungen des Ministeriums grundlegend geändert werden.
Das bisherige System der regionalen Verantwortung
In Nordrhein-Westfalen gibt es mehrere Zweckverbände, in denen sich Kommunen zusammenschließen, um den öffentlichen Nahverkehr vor Ort zu gestalten. Diese Verbände kennen die lokalen Bedürfnisse und können das Angebot an Regionalzügen und S-Bahnen passgenau auf die Pendlerströme und die regionale Wirtschaft ausrichten. Sie entscheiden über Taktdichten, Linienführungen und Qualitätsstandards.
Die geplante Landesgesellschaft und ihre Folgen
Der Plan der Landesregierung sieht die Gründung einer neuen, landesweiten Gesellschaft vor. Diese zentrale Stelle soll künftig die alleinige Zuständigkeit für die Organisation des gesamten Regional- und S-Bahn-Verkehrs in NRW übernehmen. Für die Kommunen hätte dies weitreichende Konsequenzen.
Obwohl sie ihre direkte Entscheidungsgewalt abgeben müssten, sollen die Städte und Kreise weiterhin für die Finanzierung aufkommen und die Haftung tragen. Kritiker bezeichnen dies als „Bezahlen ohne Bestellen“. Die Sorge ist groß, dass Entscheidungen künftig zentral in Düsseldorf getroffen werden, ohne die spezifischen Gegebenheiten und Bedürfnisse vor Ort ausreichend zu berücksichtigen.
Finanzielle Lasten ohne Einflussnahme
Die kommunalen Vertreter argumentieren, dass die geplante Struktur eine gefährliche Schieflage erzeugt. Sie müssten die finanziellen Risiken tragen, beispielsweise bei unvorhergesehenen Kostensteigerungen oder Einnahmeausfällen, könnten aber nicht mehr steuernd eingreifen. Dies untergrabe das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung, das im Grundgesetz verankert ist.
Der Widerstand formiert sich über Parteigrenzen hinweg. Vertreter der betroffenen Städte betonen, dass die Nähe zu den Bürgern und die Kenntnis der lokalen Verhältnisse entscheidend für einen funktionierenden Nahverkehr seien. Eine Zentralisierung würde diese Vorteile zunichtemachen.
Zahlen zum SPNV in NRW
Der Schienenpersonennahverkehr ist ein entscheidender Faktor für die Mobilität in Nordrhein-Westfalen. Täglich nutzen Millionen von Menschen die Regional- und S-Bahnen für den Weg zur Arbeit, zur Ausbildung oder in der Freizeit. Die Finanzierung erfolgt zu einem großen Teil aus öffentlichen Mitteln, die der Bund den Ländern zur Verfügung stellt (Regionalisierungsmittel) und die durch die Kommunen ergänzt werden.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Reform
Um die rechtliche Tragfähigkeit der Pläne zu prüfen, wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis ist für die Landesregierung heikel: Der beauftragte Gutachter kommt zu dem Schluss, dass die Errichtung der geplanten Landesanstalt gegen die nordrhein-westfälische Verfassung verstoßen würde.
Das Gutachten stützt die Position der Kommunen, dass ein Entzug der Aufgaben bei gleichzeitiger Beibehaltung der finanziellen Verantwortung einen unzulässigen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung darstellt. Dieses juristische Votum verleiht dem Protest der Städte und Kreise erhebliches Gewicht in der politischen Debatte.
Die zentrale Kritik lautet, dass die geplante Landesanstalt die bewährten regionalen Strukturen aushöhlt und die demokratische Kontrolle durch die direkt gewählten kommunalen Vertreter schwächt.
Das Milliarden-Angebot des Landes
Als Gegenleistung für die Zustimmung zur Zentralisierung stellt das Verkehrsministerium eine erhebliche finanzielle Zusage in Aussicht. Das Land will 1,5 Milliarden Euro bereitstellen, um ein sogenanntes Grundnetz im Regional- und S-Bahn-Verkehr zu finanzieren.
Dieses Grundnetz soll ein verlässliches Mindestangebot an Zugverbindungen im ganzen Land sicherstellen. Die Idee dahinter ist, die Grundversorgung auch dann zu gewährleisten, falls die Finanzierung des Nahverkehrs in Zukunft knapp werden sollte. Es soll als eine Art Sicherheitsnetz für die Mobilität der Bürger dienen.
Ein Angebot mit Bedingungen
Die Kommunen sehen das Angebot jedoch kritisch. Sie argumentieren, dass die 1,5 Milliarden Euro die strukturellen Nachteile und den Verlust der Gestaltungshoheit nicht aufwiegen können. Die Sorge ist, dass das „Grundnetz“ zwar gesichert wäre, aber alle darüber hinausgehenden, für die Region wichtigen Verbindungen und Taktverdichtungen von zentralen Entscheidungen abhängig wären, auf die man keinen Einfluss mehr hat.
- Vorteil des Angebots: Langfristige Sicherung eines Basisangebots im Schienenverkehr.
- Nachteil aus kommunaler Sicht: Verlust der Steuerungsmöglichkeit und Abhängigkeit von einer zentralen Landesbehörde.
- Offene Frage: Wie flexibel kann auf zukünftige Bedarfsänderungen reagiert werden, wenn die Entscheidungen zentralisiert sind?
Ausblick auf die politische Auseinandersetzung
Die Fronten zwischen dem Land und den Kommunen sind verhärtet. Die Städte und Kreise im Rheinland und anderen Teilen von NRW haben deutlich gemacht, dass sie an ihrer bisherigen Rolle als Gestalter des Nahverkehrs festhalten wollen. Das negative Verfassungsgutachten stärkt ihre Verhandlungsposition erheblich.
Die kommenden Wochen werden zeigen, ob das Verkehrsministerium an seinen Plänen festhält oder ob ein Kompromiss gefunden werden kann, der die regionalen Kompetenzen wahrt. Für die Millionen Pendler in Nordrhein-Westfalen ist der Ausgang dieser Auseinandersetzung von großer Bedeutung, denn er entscheidet darüber, wer in Zukunft über die Qualität und den Umfang ihres täglichen Zugangebots bestimmt.




