In einer außergewöhnlichen Kooperation zwischen der Universität zu Köln und der Polizei haben 15 Jurastudierende seit Januar 2025 Zugang zu den Originalakten eines ungelösten Mordfalls erhalten. Im Rahmen des Projekts „Cold Case Lab Köln“ analysieren sie unter strenger Geheimhaltung Beweismittel und Zeugenaussagen, um neue Perspektiven für die Ermittler zu schaffen.
Wichtige Erkenntnisse
- 15 Jurastudierende der Universität Köln untersuchen einen jahrzehntealten, ungelösten Mordfall.
 - Das Projekt ermöglicht den Zugang zu echten Polizei- und Staatsanwaltschaftsakten.
 - Die Studierenden haben Widersprüche in alten Zeugenaussagen entdeckt, die nun von der Polizei geprüft werden.
 - Es gibt in Nordrhein-Westfalen 1.160 ungeklärte Tötungsdelikte seit 1970, davon rund 200 in Köln.
 
Einblicke in einen ungelösten Kriminalfall
Das Projekt mit dem Namen „Cold Case Lab Köln (CCLK) Wissenschaft trifft Praxis – Aufklärung ungelöster Verbrechen im Raum Köln“ wurde vom Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminalpolitik ins Leben gerufen. Es stellt eine neuartige Form der Zusammenarbeit zwischen universitärer Ausbildung und polizeilicher Praxis dar.
Die 15 ausgewählten Studierenden mussten vor Beginn des Projekts eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen. Selbst die Angehörigen der Opfer wurden über die erneute wissenschaftliche Aufarbeitung des Falls zunächst nicht informiert, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Das nordrhein-westfälische Innenministerium erteilte für diese besondere Form der Akteneinsicht seine Zustimmung.
Frische Augen für alte Spuren
Die angehenden Juristinnen und Juristen erhielten umfassenden Einblick in die Ermittlungsarbeit. Sie sichteten Tatortfotos, analysierten alte Zeugenprotokolle und werteten Spuren aus. „Es wurden Opferprofile erstellt und eine Fallrekonstruktion durchgeführt“, beschrieb Staatsanwältin Jane Wolf die methodische Vorgehensweise der Projektgruppe.
Für die Studierenden war die Arbeit mit den realen Unterlagen eine prägende Erfahrung. Laura Lougu von der Universität zu Köln zeigte sich vom Umfang der Akten beeindruckt: „Das hat mich erstmal umgehauen.“ Gleichzeitig beschrieb sie den Inhalt als eine spannende Lektüre, die tiefe Einblicke in ein reales Verbrechen ermöglichte.
Was ist ein „Cold Case“?
Als „Cold Case“ (deutsch: kalter Fall) werden in der Kriminalistik unaufgeklärte Kapitalverbrechen wie Mord oder Totschlag bezeichnet, deren aktive Ermittlungen eingestellt wurden. Da Mord in Deutschland nicht verjährt, können solche Fälle jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn neue Spuren, Zeugen oder Ermittlungsmethoden (z. B. verbesserte DNA-Analyse) eine neue Chance auf Aufklärung bieten.
Die Suche nach Gerechtigkeit und neuen Ansätzen
Die Motivation hinter dem Projekt ist vielschichtig. Für Projektleiterin Selin Özyildirim stand das Streben nach Gerechtigkeit im Vordergrund. Auch wenn Jahrzehnte vergangen sind, soll die Hoffnung auf eine Aufklärung für die Hinterbliebenen nicht aufgegeben werden.
Max Marchi, ein Mitglied der Projektgruppe, betonte die Bedeutung der Opferrechte: „Ihre Stimme muss weiter gehört werden.“ Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Fall soll auch dazu beitragen, die Perspektive der Opfer im Strafverfahren zu stärken.
„Es ging für uns um einen neuen Blickwinkel auf das ungeklärte Verbrechen.“
Markus Weber, der die Abteilung für ungeklärte Tötungsdelikte bei der Kölner Polizei leitet, erhofft sich durch die unvoreingenommene Analyse der Studierenden neue Impulse. Oftmals können Personen ohne polizeilichen Hintergrund Zusammenhänge erkennen, die in den Routinen der Ermittlungsarbeit möglicherweise übersehen wurden.
Erste Ergebnisse und die nächsten Schritte
Auch wenn das Projekt bisher nicht zur direkten Festnahme eines Tatverdächtigen geführt hat, bezeichnete Ermittler Weber die Zusammenarbeit als erfolgreich. Die Studierenden lieferten wertvolle Denkanstöße. Konkret konnten sie Widersprüche in den Zeugenaussagen aus der damaligen Zeit aufdecken.
Diese Erkenntnisse werden nun von den professionellen Ermittlern der Mordkommission überprüft. Ob und wann diese neuen Ansätze zu einer öffentlichen Fahndung führen, ist derzeit noch unklar.
Ungeklärte Tötungsdelikte in NRW
- Insgesamt in NRW: 1.160 Fälle seit 1970
 - Davon in Köln: Etwa 200 Fälle aus den letzten 55 Jahren
 
Diese Zahlen verdeutlichen die große Herausforderung für die Ermittlungsbehörden und die Bedeutung von neuen Ansätzen wie dem Kölner „Cold Case Lab“.
Der ungelöste Mordfall Seckin Caglar
Ein Beispiel für einen Kölner „Cold Case“, bei dem die Polizei weiterhin aktiv nach dem Täter sucht, ist der Mord an der 16-jährigen Seckin Caglar. Der Fall liegt mehr als 30 Jahre zurück, doch die Ermittler geben die Hoffnung nicht auf.
Seckin Caglar verließ am 16. Oktober 1991 gegen 18:40 Uhr ihre Arbeitsstelle, einen Supermarkt an der Siegburger Straße in Poll. Sie kam jedoch nie zu Hause an. Am folgenden Tag fanden ihre Angehörigen ihre Leiche in einem Gebüsch nahe der damaligen Haltestelle „Poll-Autobahn“. Die Ermittlungen ergaben, dass sie Opfer eines Sexualverbrechens wurde.
Neue Ermittlungen nach Jahrzehnten
Im März 2023, fast 32 Jahre nach der Tat, wandte sich die Polizei erneut an die Öffentlichkeit. Es wurde ein DNA-Massengentest durchgeführt, bei dem mehrere hundert Männer aus dem Umfeld des Opfers und des Tatorts Speichelproben abgaben. Ein Treffer konnte dabei jedoch nicht erzielt werden.
Um den Fall deutschlandweit bekannt zu machen, ist eine Ausstrahlung in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“ geplant. Nach aktuellen Informationen wird dies voraussichtlich im Jahr 2026 geschehen. Die Ermittler hoffen, dass sich auch nach so langer Zeit noch Zeugen melden, die entscheidende Hinweise geben können.




