Ein Fall, der am Amtsgericht Köln verhandelt wurde, offenbart eine tragische Geschichte hinter einer scheinbar dreisten Straftat. Eine 33-jährige Mutter inszenierte ihre eigene Entführung, um Lösegeld von ihrem Ehemann zu erpressen. Doch die Ermittlungen und der Prozess brachten eine tiefere Wahrheit ans Licht: eine Geschichte von Schulden, Sucht und psychischer Not.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine 33-jährige Frau aus Köln täuschte ihre eigene Entführung vor und erpresste 5.000 Euro von ihrem Ehemann.
 - Hinter der Tat steckten Depressionen, eine Spiel- und Kaufsucht sowie Schulden in Höhe von 20.000 Euro.
 - Die Frau wurde wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt.
 - Der Ehemann hält trotz der Tat zu seiner Frau und unterstützte sie während des Prozesses.
 
Ein beunruhigender Morgen
Für den Kölner Tiefbau-Spezialisten Domenico R. (Name geändert) begann ein Montagmorgen im Februar mit einer schockierenden Nachricht. Um 9:42 Uhr erhielt er eine WhatsApp-Nachricht vom Mobiltelefon seiner Frau. Der Inhalt war kurz und bedrohlich: „Hallo Amore, wie viel ist dir deine Frau wert? Ich sage 5000 Euro.“
Der Absender, der sich als Entführer ausgab, forderte eine sofortige Zahlung von 2.500 Euro innerhalb von zwei Stunden. Der Restbetrag sollte am Nachmittag folgen. Um den Druck zu erhöhen, folgten weitere Nachrichten: „Wir brauchen keine Polizei, wenn du deine Frau sehen möchtest.“
Die Situation eskalierte, als Domenico R. eine Sprachnachricht erhielt. Darin war die flehende Stimme seiner Frau zu hören: „Gebt ihm, was er möchte, ich möchte nach Hause.“ In großer Sorge und nachdem er erfahren hatte, dass seine Frau nicht bei der Arbeit erschienen war, handelte der Ehemann. Er überwies die geforderten 5.000 Euro auf das Konto seiner Frau, wie von dem vermeintlichen Entführer angewiesen.
Großangelegter Polizeieinsatz
Die vorgetäuschte Entführung löste einen erheblichen Polizeieinsatz aus. Die Behörden richteten eine eigene Ermittlungsgruppe ein, setzten Spürhunde zur Suche nach der vermeintlich Vermissten ein und ordneten Telefonüberwachungen an. Diese Maßnahmen verdeutlichen den Ernst, mit dem die Polizei den Fall zunächst verfolgte.
Die überraschende Auflösung am Kölner Dom
Am nächsten Morgen erhielt der Ehemann die Nachricht, er könne seine Frau vor dem Kölner Dom abholen. Die inzwischen alarmierte Polizei war sofort vor Ort und fand die 33-Jährige. Sie wirkte blass und zitterte, doch ihr Verhalten erschien den Beamten verdächtig.
Bei einer Durchsuchung fanden die Polizisten die gesamten 5.000 Euro Bargeld bei ihr. Schnell wurde klar, dass es keinen Entführer gab. Die Frau hatte die gesamte Geschichte inszeniert. Das Geld hatte sie selbst mit ihrer EC-Karte an einem Automaten abgehoben und die Nacht in einem Hotel verbracht.
Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen schwerer räuberischer Erpressung und des Vortäuschens einer Straftat. Der Fall landete vor dem Schöffengericht des Kölner Amtsgerichts, wo der Angeklagten eine mehrjährige Haftstrafe drohte.
Die Fassade einer perfekten Familie
Was sich in der Anklageschrift wie eine kaltblütige Tat liest, entpuppte sich im Gerichtssaal als Akt der Verzweiflung. Die Verteidigerin der Frau, Susanne Cziongalla, schilderte das Bild einer Mutter, die nach außen hin die Rolle der perfekten Ehefrau und Mutter spielte. Die Familie lebte in einem eigenen Haus, der Alltag schien geregelt und intakt.
Doch hinter dieser Fassade verbarg sich eine schwere persönliche Krise. Die Angeklagte litt unter Depressionen, einer Spielsucht und einer Kaufsucht. Diese Süchte hatten zu einer erdrückenden Schuldenspirale geführt. Verbindlichkeiten in Höhe von 20.000 Euro hatten sich bei Zahlungsdienstleistern wie Paypal und Klarna angehäuft.
Ein irrationaler Plan
Die Verteidigerin bezeichnete die Tat als „völlig irrational“. Die Frau habe letztlich ihr eigenes Familienvermögen erpresst, um Schulden zu begleichen, die sie aus Scham vor ihrer Familie geheim gehalten hatte. Dies unterstreicht die psychische Ausnahmesituation, in der sich die Angeklagte befand.
Mit brüchiger Stimme erklärte die 33-Jährige vor Gericht ihre Beweggründe. „Ich konnte mit niemandem darüber sprechen, ich fühlte mich ganz allein und wollte doch nur funktionieren und niemandem zur Last fallen“, sagte sie. Ihr Gefühl der Isolation und die Angst, ihre Familie zu enttäuschen, hätten sie in eine ausweglose Lage getrieben.
Ein dunklerer ursprünglicher Plan
Die Ermittlungen brachten eine noch düsterere Absicht ans Licht. Die Frau gab an, dass ihr ursprünglicher Plan an jenem Tag Suizid gewesen sei. „Ich wollte mich umbringen, mit dem Auto gegen eine Wand fahren“, gestand sie. Ihre Anwältin ergänzte, dass sie in den Tagen zuvor bewusst „ruppig“ zu ihren beiden Söhnen im Alter von drei und acht Jahren gewesen sei, „damit ihre beiden Kinder sie nicht zu sehr vermissen.“
Warum sie von diesem Plan abwich und stattdessen die Entführung inszenierte, konnte sie selbst vor Gericht nicht mehr schlüssig erklären. Es scheint ein letzter, verzweifelter Versuch gewesen zu sein, die Fassade aufrechtzuerhalten und sich finanziell etwas Luft zu verschaffen.
Urteil und ein Neuanfang
Der Vorsitzende Richter Rolf Krebber zeigte sich in seiner Urteilsbegründung beeindruckt von der Leidensgeschichte der Angeklagten. Er betonte jedoch auch die schwerwiegenden Folgen ihrer Tat. Sie habe nicht nur ihren Ehemann in Angst und Schrecken versetzt, sondern auch einen kostspieligen Polizeieinsatz verursacht.
„Ich bin überzeugt davon, dass Sie keine Straftaten mehr begehen werden.“
Das Gericht verurteilte die Frau schließlich zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte eine um vier Monate höhere Strafe gefordert und prüft, ob sie in Berufung geht. Auf besondere Bewährungsauflagen verzichtete der Richter, da die Frau sich bereits in Therapie befindet und Pläne hat, wieder als Bürokauffrau zu arbeiten.
Ein bemerkenswertes Detail des Prozesses war die Haltung des Ehemannes. Er stand während des gesamten Verfahrens an der Seite seiner Frau. Obwohl er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte, war seine Unterstützung unübersehbar. Die Angeklagte berichtete, dass er sie sofort nach ihrer Einweisung in die Psychiatrie besuchte und sagte: „Wir fangen jetzt nochmal bei null an.“ Die Schulden, die zur Tat geführt hatten, wurden inzwischen von ihm beglichen.
„Ich bin froh, dass alles rausgekommen ist“, sagte die 33-Jährige am Ende des Prozesses. Sie fühle sich befreit und sei dankbar für die Chance auf einen Neuanfang mit ihrer Familie.




