Am 30. September 1975 bezogen 108 Sinti in Köln-Roggendorf feste Häuser und beendeten damit ihr Leben in alten Eisenbahnwaggons. Dieses Ereignis, das sich in diesem Jahr zum 50. Mal jährt, markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Kölner Nachkriegsgeschichte und war das Ergebnis einer beispiellosen Zusammenarbeit zwischen der Stadt Köln und der katholischen Kirche.
Wichtige Fakten
- Datum des Einzugs: 30. September 1975.
- Ort: Sinti-Siedlung in Köln-Roggendorf.
- Beteiligte: 108 Sinti-Familienmitglieder.
- Vorherige Situation: Leben in provisorischen Reichsbahnwaggons.
- Initiatoren: Ein starkes Engagement der katholischen Kirche und die schnelle Umsetzung durch die Stadt Köln.
Die Lebensbedingungen vor 1975
Für viele Sinti-Familien in Köln war die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg von Ausgrenzung und prekären Lebensumständen geprägt. Nach dem Völkermord durch die Nationalsozialisten fanden viele Überlebende und ihre Nachkommen keine angemessene Unterkunft. Sie waren gezwungen, in provisorischen Behausungen zu leben, darunter ausrangierte Waggons der ehemaligen Reichsbahn.
Diese Waggons standen oft auf unbefestigten Plätzen am Stadtrand und boten kaum Schutz vor Kälte und Nässe. Es fehlte an grundlegender Infrastruktur wie fließendem Wasser, sanitären Anlagen und einer verlässlichen Stromversorgung. Die Bedingungen waren nicht nur menschenunwürdig, sondern erschwerten auch den Zugang zu Bildung und Arbeit erheblich.
Historischer Kontext
Die Situation der Sinti und Roma im Nachkriegsdeutschland war lange von staatlicher Vernachlässigung geprägt. Der Völkermord wurde erst 1982 offiziell von der Bundesregierung anerkannt. Projekte wie die Siedlung in Roggendorf waren seltene, aber wichtige Schritte, um die systematische Benachteiligung zu durchbrechen und den Familien eine Perspektive zu bieten.
Das Engagement der katholischen Kirche
In dieser schwierigen Lage übernahm die katholische Kirche in Köln eine entscheidende Rolle. Seelsorger und Gemeindemitglieder erkannten die Not der Familien und begannen, konkrete Hilfe zu leisten. Ein zentraler Punkt ihres Engagements war die Bildung der Kinder.
Sie setzten sich dafür ein, dass die Kinder der Sinti-Familien Zugang zu Schulen und Kindergärten erhielten. Diese Bemühungen waren ein erster wichtiger Schritt zur Integration und zur Überwindung der sozialen Isolation. Durch den täglichen Kontakt mit den Familien wurde den Kirchenvertretern das volle Ausmaß der unhaltbaren Wohnsituation bewusst.
Aus dieser pastoralen Arbeit erwuchs der entscheidende Impuls, eine dauerhafte Lösung zu fordern. Die Kirche nutzte ihren Einfluss, um bei der Stadtverwaltung auf den Bau einer festen Siedlung zu drängen. Sie argumentierte, dass Bildungschancen nur dann nachhaltig wirken könnten, wenn die Familien auch ein sicheres und menschenwürdiges Zuhause hätten.
Rekordbauzeit
Die Stadt Köln reagierte auf den Appell und realisierte den Bau der Siedlung in einer außergewöhnlich kurzen Zeit. Dieser schnelle Fortschritt unterstrich die Dringlichkeit des Projekts und den politischen Willen, die Lebensbedingungen der Sinti nachhaltig zu verbessern.
Ein neues Zuhause in Roggendorf
Am 30. September 1975 war es schließlich so weit: 108 Männer, Frauen und Kinder konnten ihre neuen Häuser in der eigens für sie errichteten Siedlung in Köln-Roggendorf beziehen. Für die Familien war dies mehr als nur ein Umzug. Es war der Beginn eines neuen Lebensabschnitts mit Stabilität, Sicherheit und einer Perspektive für die Zukunft.
Die festen Häuser boten nicht nur Schutz und Wärme, sondern auch die Grundlage für ein geregeltes Alltagsleben. Kinder hatten nun einen festen Ort, an dem sie ihre Hausaufgaben machen konnten, und die Familien wurden Teil einer Nachbarschaft. Der Umzug war ein symbolischer Akt, der das Ende des provisorischen Lebens am Rande der Gesellschaft markierte.
Die Perspektive der Bewohner
Der Musiker Markus Reinhardt, dessen Familie zu den Bewohnern der ersten Stunde gehörte, erinnert sich an die Bedeutung dieses Tages. In Interviews schilderte er oft den Kontrast zwischen dem Leben im Waggon und dem Gefühl, ein festes Dach über dem Kopf zu haben.
"Das war ein riesiger Schritt. Plötzlich hatten wir ein richtiges Zuhause. Das hat alles verändert, besonders für uns Kinder. Es gab uns die Chance, ein normales Leben zu führen", so Reinhardt in früheren Gesprächen über seine Kindheit.
Seine Worte verdeutlichen die tiefgreifende persönliche und soziale Bedeutung, die der Bau der Siedlung für die Gemeinschaft hatte. Es ging nicht nur um Wohnraum, sondern um Anerkennung und die Möglichkeit zur Teilhabe.
Die Bedeutung der Siedlung heute
Fünfzig Jahre nach ihrer Gründung ist die Siedlung in Roggendorf ein wichtiger Teil der Kölner Stadtgeschichte. Sie steht als Mahnmal für die lange vernachlässigte Verantwortung gegenüber den Sinti und Roma, aber auch als positives Beispiel für gelungenes zivilgesellschaftliches und kommunales Handeln.
Das Projekt zeigt, wie durch gezielte Initiativen Lebensbedingungen verbessert und soziale Barrieren abgebaut werden können. Es unterstreicht die Wichtigkeit von sicherem Wohnraum als Grundlage für Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Integration.
Wichtige Daten im Überblick
- Bis 1975: Leben vieler Sinti-Familien in alten Reichsbahnwaggons.
- Anfang der 1970er: Katholische Kirche intensiviert ihre Hilfe und fordert eine Wohnlösung.
- 1975: Die Stadt Köln errichtet in Rekordzeit die Siedlung in Roggendorf.
- 30.09.1975: 108 Sinti beziehen die neuen Häuser.
- 2025: 50. Jahrestag dieses historischen Ereignisses.
Die Geschichte der Sinti-Siedlung in Köln-Roggendorf bleibt eine wichtige Erinnerung daran, dass menschenwürdiges Wohnen ein grundlegendes Recht ist. Der Jahrestag bietet Anlass, die Fortschritte zu würdigen, aber auch auf die weiterhin bestehenden Herausforderungen für Sinti und Roma in Deutschland aufmerksam zu machen.




