Die Kölner Punk- und Hardcore-Szene hat sich über vier Jahrzehnte ständig weiterentwickelt. Zeitzeugen blicken auf die Anfänge in den 1980er Jahren zurück, eine Zeit, die von rauen Bedingungen, politischem Erwachen und der Suche nach einer eigenen Identität geprägt war. Von den ersten Konzerten im Stollwerck bis zur Etablierung einer organisierten Hardcore-Szene in den frühen 2000er Jahren durchlief die Subkultur einen tiefgreifenden Wandel.
Dieser Artikel, der erste Teil einer Serie, beleuchtet die entscheidenden Jahre von 1980 bis 2005. Er zeigt, wie sich aus kleinen, privaten Treffen eine einflussreiche Bewegung entwickelte, die an Orten wie dem Bürgerhaus Stollwerck, dem Rhenania und später dem Autonomen Zentrum in Kalk ein Zuhause fand.
Wichtige Fakten
- Die Kölner Punkszene der 1980er Jahre war geprägt von sozialen Härten und Drogenkonsum.
- Konzerte von Bands wie Black Flag im Jahr 1983 im Stollwerck waren prägende Ereignisse für die frühe Szene.
- In den 1990er Jahren gewann die politisch aktivere Hardcore-Szene an Bedeutung und grenzte sich vom Punk ab.
- Die Jahrtausendwende brachte eine neue Generation von Bands und Organisatoren nach Köln, die die Szene weiter diversifizierten.
Die Anfänge in den 1980er Jahren: Zwischen Faszination und Abschreckung
Die frühe Kölner Punkszene der 1980er Jahre war rau und ungeschliffen. Mac, Jahrgang 1967 und heute als Journalist tätig, beschreibt die damalige Atmosphäre als „multi-toxisch“. Viele junge Menschen lebten auf der Straße, und der Konsum harter Drogen wie Heroin war verbreitet.
Für ihn und seine Generation war der Zugang zur Musik nicht einfach. Magazine wie „Sounds“ dienten als Wegweiser, um bei Plattenläden wie Saturn oder dem umstrittenen Label Rock-O-Rama neue Musik zu entdecken. Da das Geld für Platten knapp war, wurde das Tauschen von Kassetten zu einem zentralen Element der Subkultur.
Ein Konzert, das alles veränderte
Ein Schlüsselmoment für die Kölner Szene war das Konzert der US-amerikanischen Band Black Flag im Jahr 1983 im Bürgerhaus Stollwerck. „Irgendwann kam dann die ‚Damaged‘, die erste Black Flag heraus, das war für mich die Offenbarung“, erinnert sich Mac. Dieses Konzert veränderte seine Wahrnehmung nachhaltig.
„1983 haben Black Flag im Stollwerck gespielt und ich war da. Danach war die Welt für mich eine andere.“
Konzerte blieben jedoch seltene Ereignisse. Der Alltag spielte sich meist im Privaten oder auf der Straße ab. Treffpunkte waren Kneipen im Zülpicher Viertel wie das „Treibhaus“ oder das „Comic“ in der Kyffhäuserstraße. Ein besonders wichtiger Ort war „Papas Pizzaladen“, wo man für eine Mark ein Gilden Kölsch bekam und eigene Kassetten auf dem Ghettoblaster des Besitzers abspielen durfte.
Punk als Identität
Für viele Jugendliche wie Mac war Punk mehr als nur Musik. Es war eine Antwort auf gesellschaftliche Ausgrenzung. Als Scheidungskind mit Wurzeln in der ehemaligen Sowjetunion fühlte er sich als Außenseiter. Am Apostelgymnasium in Lindenthal, umgeben von Kindern aus privilegierten Verhältnissen, verstärkte sich dieses Gefühl. „Punk, das war die Antwort für mich. Damit hatte ich etwas Exklusives“, erklärt er. Die aggressive Musik bot ein Ventil für seine Wut und schuf eine klare Abgrenzung zur bürgerlichen Welt.
Die 1990er: Politische Unruhen und die Trennung von Hardcore
Anfang der 1990er Jahre wurde die Szene zunehmend politischer und auch gewalttätiger. Tim, heute Theaterschauspieler und Konzertveranstalter, kehrte zu dieser Zeit nach Köln zurück. Er erinnert sich an Orte wie das „Jambaleia“ in Mülheim, wo es regelmäßig zu Schlägereien kam – oft aus politischen Gründen, aber auch aufgrund des hohen Alkoholkonsums.
Wichtige Veranstaltungsorte waren das Kunsthaus Rhenania am Rheinauhafen und weiterhin das Bürgerhaus Stollwerck, das zu einem Symbol der Hausbesetzerszene geworden war. Die politische Lage in Deutschland, insbesondere die rassistischen Ausschreitungen in Städten wie Hoyerswerda, mobilisierte auch die Kölner Szene. „Ich erinnere mich an ‚Arsch huh, Zäng ussenander‘, die Zeit der Lichterketten“, erzählt Tim. Aktionen gegen Rechtsextremismus, wie das Entwenden und Verbrennen der „National-Zeitung“, gehörten zum Alltag.
Der Aufstieg des Hardcore
Parallel zum Punk etablierte sich der Hardcore als eigenständige Bewegung. Für Mac bot Hardcore eine konstruktivere Form der Aggression. „Ich fand es sehr ansprechend am Hardcore, dort etwas konstruktives vorgefunden zu haben, etwas, was die Leute aus ihrem Dreck herausgeholt hat“, sagt er. Die Musik war oft technisch anspruchsvoller und die Szene politisch aktiver, was ihn mehr ansprach als die selbstzerstörerischen Tendenzen im Punk.
Anfangs wurde die Hardcore-Szene von den Punks belächelt, doch die musikalische Energie überzeugte schnell. Trotzdem blieben beide Szenen lange Zeit voneinander getrennt. Erst Jahre später begannen sich die Grenzen aufzulösen.
Major-Labels entdecken Hardcore
In den 90er Jahren erkannten auch große Plattenfirmen das kommerzielle Potenzial von Hardcore. René, Herausgeber des „Forced Narrative“-Fanzines, erinnert sich: „Die 90er, das war ja die Zeit, wo Major-Labels alles gesignt haben.“ Ein prominentes Beispiel war die New Yorker Hardcore-Band Sick of it All, deren Album „Scratch the Surface“ bei East West erschien, einem Sublabel der Warner Music Group.
Die Szene nach der Jahrtausendwende
Als René Anfang der 2000er Jahre zum Studieren nach Köln kam, fand er eine kleine, aber geschlossene Szene vor. „2003 gab es hier schon eine kleine Hardcore-/Punkszene, das waren vielleicht fünf, sechs Bands“, berichtet er. Konzerte fanden meist im Do-It-Yourself-Stil in Proberäumen oder im Bürgerzentrum Ehrenfeld statt.
Eine wichtige Rolle spielten zugezogene Studierende, die neue Netzwerke und Ideen in die Stadt brachten. Sie organisierten Konzerte und gründeten Bands. Die Kölner Szene selbst beschreibt René als eine „eigene Bubble“.
Neue Orte und neue Bands
Größere internationale Shows fanden im Club Underground statt, während die lokale Szene sich an Orten wie dem AZ Köln in Kalk traf. Zu den prägenden Kölner Bands dieser Zeit gehörten unter anderem:
- Cobretti
- Kingdom
- Deny Everything
- The Ice
- My Defense
Stilistisch orientierten sich viele dieser Bands laut René eher am melodischen Hardcore. Die Szene war überschaubar, aber aktiv und legte den Grundstein für die weitere Entwicklung, die durch neue Veranstaltungsorte und eine neue Generation von Musikern nach der Corona-Pandemie eine weitere Erneuerung erfahren sollte.




