In Köln-Höhenberg beobachtet ein Lehrer täglich, wie Kinder hungrig im Unterricht sitzen. Viele Familien können sich das Schulessen nicht leisten. Aus dieser Not heraus ist eine Petition entstanden, die eine landesweite Lösung in Nordrhein-Westfalen fordert und eine hitzige politische Debatte über Kosten und soziale Verantwortung entfacht hat.
Numan Sarrac, Lehrer an der Katharina-Henoth-Gesamtschule, sieht die Auswirkungen von Armut jeden Tag. Manche seiner Schülerinnen und Schüler knabbern an Salzstangen, um den Magen zu füllen. Andere holen sich ungesunde Snacks am Kiosk oder essen bis zum Nachmittag gar nichts. Diese Realität hat ihn dazu bewogen, zu handeln.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Lehrer aus Köln hat eine Petition für kostenloses Schulessen in ganz NRW gestartet, die bereits über 11.600 Unterschriften gesammelt hat.
- Die Debatte im Landtag zeigt eine Spaltung: Während die SPD die Forderung unterstützt, verweisen CDU und Grüne auf die hohen Kosten von rund zwei Milliarden Euro und bestehende Hilfsprogramme.
- Studien belegen, dass eine mangelnde Ernährung die Konzentration und den Lernerfolg von Kindern stark beeinträchtigt.
- An der Kölner Brennpunktschule können sich viele Familien die Mahlzeiten nicht leisten, obwohl der Bedarf groß ist.
Alltag an einer Kölner Brennpunktschule
Die Katharina-Henoth-Gesamtschule in Höhenberg ist mit dem Sozialindex 9 eingestuft – der höchsten Stufe für soziale Belastungen. „Viele Kinder sind hungrig oder essen nur Mist den Tag über“, berichtet Lehrer Numan Sarrac. Er beschreibt eine Schule, an der 80 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben und viele Familien auf Bürgergeld angewiesen sind.
Für diese Familien ist das Schulessen oft ein Luxus, den sie sich nicht leisten können. Sarrac erzählt von Vätern mit drei Jobs und alleinerziehenden Müttern, die frühmorgens zur Arbeit müssen und keine Zeit für ein Frühstück haben. Die Konsequenz ist für ihn klar: Ohne eine richtige Mahlzeit lässt die Konzentration spätestens am Nachmittag nach.
Schule ergreift Eigeninitiative
Um die unmittelbare Not zu lindern, hat die Schule bereits reagiert. Dank privater Spenden konnte ein kostenloses Frühstücksangebot eingerichtet werden. Zudem besuchte kürzlich der bekannte TV-Koch Sebastian Lege die Schule, um gemeinsam mit den Schülern gesunde und günstige Alternativen zu Instant-Nudelsuppen zuzubereiten und das Bewusstsein für gute Ernährung zu schärfen.
Eine Petition fordert eine landesweite Lösung
Um das Problem an der Wurzel zu packen, hat die Schule eine Petition an den Landtag von Nordrhein-Westfalen gerichtet. Die zentrale Forderung: ein landesweit kostenfreies Mittagessen für alle Schülerinnen und Schüler. Das Ziel ist es, bis zum 28. November 30.000 Unterschriften zu sammeln. Der aktuelle Stand von über 11.600 zeigt, dass das Thema viele Menschen bewegt.
Die Initiative aus Köln steht nicht allein da. Der vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ empfiehlt ebenfalls ein kostenloses Schulessen. Experten verweisen dabei auf positive Beispiele aus dem Ausland.
Internationale Studien aus Schweden, Finnland und den USA zeigen die positiven Effekte eines kostenlosen und gesunden Mittagessens für alle Kinder. Es führt langfristig zu mehr Lernerfolgen und verbessert damit auch die Chancen in Ausbildung und Beruf.
Ulrike Arens-Azevêdo, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
Ernährungsmediziner betonen zudem, dass viele Kinder in Deutschland unter einer Mangelversorgung mit wichtigen Nährstoffen leiden, was zu gesundheitlichen Problemen wie Übergewicht führen kann.
Ernährungsunsicherheit in Deutschland
Laut der Mega-Kids-Studie ist fast ein Viertel der armutsgefährdeten Haushalte mit Kindern in Deutschland von Ernährungsunsicherheit betroffen. Das bedeutet, ihr Zugang zu Lebensmitteln ist aus Geldmangel stark eingeschränkt. Von den betroffenen Kindern, die in Kita oder Schule eine warme Mahlzeit bekommen könnten, nehmen fast 20 Prozent das Angebot nicht wahr, weil es zu teuer ist.
Politik in NRW ist gespalten
Im Düsseldorfer Landtag wurde die Forderung bereits intensiv diskutiert, doch die Meinungen gehen weit auseinander. Die SPD hat im Juli einen Antrag für kostenlose Mahlzeiten in Kitas und Schulen eingebracht. Dennis Maelzer, Sprecher für Kinder, Jugend und Familie der SPD-Fraktion, betont, dass dies Eltern finanziell maßgeblich entlasten würde.
Die Kostenfrage als zentrale Hürde
Die Regierungskoalition aus CDU und Grünen bremst die Erwartungen jedoch. Norwich Rüße, Sprecher der Grünen, stellt die entscheidende Frage: „Wer bezahlt das?“ Die Einführung eines kostenlosen Mittagessens für alle Schüler in NRW würde den Landeshaushalt mit rund zwei Milliarden Euro belasten.
Die Grünen schlagen stattdessen einen Zuschuss von ein bis zwei Euro pro Mahlzeit vor, räumen aber ein, dass selbst dieser im aktuellen Haushalt kaum zu finanzieren sei. Eine Lösung in dieser Legislaturperiode scheint daher unwahrscheinlich.
Gezielte Hilfe statt „Gießkanne“
Auch die CDU lehnt eine flächendeckende kostenlose Versorgung ab. Florian Braun, Vorsitzender des Schulausschusses und stellvertretender Kölner CDU-Parteichef, erklärt: „Wir wollen, dass niemand hungrig in der Schule sitzt.“ Er argumentiert jedoch, dass viele Familien nicht auf ein kostenloses Essen angewiesen seien.
Die CDU setzt auf gezielte Unterstützung statt einer pauschalen Ausschüttung nach dem „Gießkannenprinzip“. Braun verweist auf bestehende Programme, die Familien mit geringem Einkommen bereits heute helfen:
- Das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes
- Das Härtefallprogramm „Alle Kinder essen mit“ des Landes NRW
- Zahlreiche private Initiativen wie „Brotzeit“ oder Angebote der Katholischen Jugendagentur
Für Lehrer wie Numan Sarrac und viele betroffene Familien reichen diese Maßnahmen offensichtlich nicht aus. Ihre Petition läuft weiter, in der Hoffnung, dass der politische Druck groß genug wird, um sicherzustellen, dass kein Kind in NRW mehr hungrig lernen muss.




