Nach einer hart umkämpften Stichwahl steht Köln vor einer politischen Neuausrichtung. Der designierte Oberbürgermeister Torsten Burmester (SPD) will die Stadt künftig ohne feste Koalition im Stadtrat regieren. Stattdessen setzt er auf wechselnde Mehrheiten – ein Modell, das die politische Landschaft der Domstadt grundlegend verändern könnte.
Burmesters sogenannter „Kölner Weg“ ist eine direkte Reaktion auf die komplexen Mehrheitsverhältnisse und die zunehmende politische Polarisierung. Das Ziel ist es, den Stillstand zu überwinden und pragmatische Lösungen für die drängenden Probleme der Stadt zu finden, von der Wohnungsknappheit bis zur Verkehrswende.
Das Wichtigste in Kürze
- Der designierte Kölner OB Torsten Burmester (SPD) plant, ohne feste Koalition zu regieren.
 - Sein Modell des „Kölner Wegs“ setzt auf wechselnde Mehrheiten für einzelne Sachthemen.
 - Das Konzept soll politische Blockaden auflösen und eine pragmatischere Stadtpolitik ermöglichen.
 - Es stellt Grüne und CDU vor die Herausforderung, ihre traditionellen Lager zu verlassen und projektbezogen zusammenzuarbeiten.
 - Die Strategie wird auch als Versuch gesehen, dem wachsenden Einfluss der AfD auf kommunaler Ebene entgegenzuwirken.
 
Die politische Lage nach der Wahl
Torsten Burmester sicherte sich den Sieg in der Stichwahl gegen die Kandidatin der Grünen nicht zuletzt durch die massive Unterstützung von Wählern aus CDU-Hochburgen. Dieses Ergebnis spiegelt eine politische Zerrissenheit wider, die die Bildung einer stabilen Regierungskoalition erschwert. Die Grünen sind zwar die stärkste Kraft im Rat, doch Burmester sieht erhebliche inhaltliche Differenzen, insbesondere mit dem linken Flügel der Partei.
Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei schließt der designierte Oberbürgermeister kategorisch aus. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wäre eine Allianz aus seiner SPD, der CDU, der FDP, Volt und der Wählergruppe Stadtgesellschaft rechnerisch möglich, aber extrem fragil. Eine solche Zweckallianz hätte lediglich eine Mehrheit von einer einzigen Stimme und wäre ständig von internen Konflikten und dem Risiko des Scheiterns bedroht.
Erinnerungen an lähmende Bündnisse
Die Kölner Stadtpolitik hat in der Vergangenheit bereits Erfahrungen mit knappen und instabilen Mehrheiten gemacht. Solche Bündnisse führten oft zu langwierigen Kompromissfindungen, gegenseitigen Blockaden und politischem Stillstand. Burmesters Vorschlag zielt darauf ab, aus diesen Erfahrungen zu lernen und ein flexibleres Regierungsmodell zu etablieren.
Der „Kölner Weg“ im Detail
Das Konzept eines „bündnisfreien Rats“ bricht mit der traditionellen Logik fester Koalitionen, die über eine gesamte Legislaturperiode Bestand haben. Stattdessen will Burmester „von vorne führen“ und für jedes politische Vorhaben eine eigene Mehrheit im Rat suchen. Dies erfordert von allen demokratischen Parteien ein hohes Maß an Flexibilität und Kompromissbereitschaft.
Ein gemeinsamer Rahmen für den Haushalt
Ein zentraler Baustein des Plans ist die Verabschiedung des städtischen Haushalts. Hier strebt Burmester einen breiten Konsens der großen demokratischen Fraktionen – SPD, CDU und Grüne – an. Gemeinsam sollen rote Linien und die finanziellen Leitplanken für die kommenden Jahre festgelegt werden.
Nachdem dieser finanzielle Rahmen beschlossen ist, soll die eigentliche Sacharbeit beginnen. Über einzelne Projekte, von neuen Radwegen über Schulbauten bis hin zu Wirtschaftsförderprogrammen, würde dann fallweise entschieden. Mal könnte eine Mehrheit aus SPD, Grünen und Volt ein soziales Projekt tragen, ein anderes Mal könnten SPD, CDU und FDP gemeinsam eine wirtschaftspolitische Initiative auf den Weg bringen.
Herausforderung für die Fraktionen
Dieses Modell zwingt die Parteien, sich von festgefahrenen Lagerdenken zu lösen. Statt sich auf einen Koalitionsvertrag zu berufen, müssen sie ihre Positionen für jedes Thema neu verhandeln und um Unterstützung werben. Dies könnte die inhaltliche Debatte im Rat stärken, birgt aber auch das Risiko permanenter Unsicherheit.
Eine Strategie gegen die politische Polarisierung
Hinter Burmesters Vorstoß steckt auch eine landes- und bundespolitische Dimension. Der Aufstieg der AfD, die auch in nordrhein-westfälischen Kommunen wie Leverkusen oder Troisdorf an Stärke gewinnt, stellt die etablierten Parteien vor große Herausforderungen. Die sogenannte „Brandmauer“, also der Grundsatz, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten, ist ein moralisches und politisches Versprechen.
Für die CDU wird diese Brandmauer jedoch zunehmend zu einem strategischen Dilemma. Da ihr rechts der Mitte Bündnispartner fehlen, ist sie oft auf Koalitionen mit SPD oder Grünen angewiesen, was eine Verwässerung ihres konservativen Profils zur Folge haben kann. Dies wiederum könnte Wähler in die Arme der AfD treiben.
„Gerade aus bürgerlicher Sicht braucht es eine Politik, die wieder Vertrauen stiftet. Nicht durch Parolen, sondern durch verantwortungsbewusstes Handeln. Eine Politik, die das Gestalten über das Spalten stellt.“
Der „Kölner Weg“ könnte hier einen Ausweg bieten. Indem die CDU die Möglichkeit erhält, für ihre konservativen Anliegen Mehrheiten zu finden, ohne eine feste Koalition mit der AfD eingehen zu müssen, könnte sie ihr Profil schärfen. Dies würde es der Partei erleichtern, Wähler zurückzugewinnen, die aus Protest oder Enttäuschung zur AfD abgewandert sind.
Ein Signal für Nordrhein-Westfalen?
Derzeit ringen die großen Parteien in Köln noch um ihre Positionierung. Die Grünen werben für ein linkes Bündnis mit SPD und Volt, während die CDU auf einen Schulterschluss mit der SPD und bürgerlichen Partnern hofft. Burmester positioniert sich zwischen diesen Lagern und wirbt intensiv für seinen Ansatz der wechselnden Mehrheiten.
Sollte es ihm und seiner SPD gelingen, Grüne und CDU von diesem Weg zu überzeugen, könnte von Köln ein wichtiges Signal für ganz NRW ausgehen. Die Stadt würde demonstrieren, dass Kommunalpolitik auch ohne starre Lagerbündnisse handlungsfähig sein kann – und vielleicht sogar entschlossener.
Das Experiment birgt Risiken, aber auch eine große Chance: die Chance, die politische Kultur zu erneuern, den Fokus auf Sachthemen zu lenken und der AfD den Nährboden zu entziehen, indem die demokratischen Parteien zeigen, dass sie trotz aller Unterschiede gemeinsam die Probleme der Bürger lösen können.




