In Köln ist eine intensive Debatte über die Bezahlung von Stadtratsmitgliedern entbrannt. Auslöser ist der Rücktritt eines prominenten Politikers, der die ehrenamtliche Arbeit in einer Milliarden-Metropole für nicht mehr tragbar hält. Während die meisten Parteien eine Professionalisierung fordern, verweisen Kritiker auf die angespannte Haushaltslage der Stadt.
Wichtige Fakten
- Die monatliche Aufwandsentschädigung für Kölner Ratsmitglieder beträgt 541 Euro plus 26 Euro pro Sitzung.
 - Die Stadt Köln verwaltet einen Jahreshaushalt von über sechs Milliarden Euro.
 - Eine breite Mehrheit der Fraktionen im Rat befürwortet eine bessere finanzielle Ausstattung.
 - Kritiker, darunter die CDU, halten den Zeitpunkt für eine Erhöhung angesichts der Haushaltskrise für falsch.
 - Studien zeigen, dass der hohe Zeitaufwand vor allem Frauen und junge Menschen von der Kommunalpolitik fernhält.
 
Ein Rücktritt als Weckruf
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Volt, Christian Achtelik, hat nach fünf Jahren seinen Rückzug aus dem Kölner Stadtrat angekündigt. Sein Schritt ist nicht politisch, sondern strukturell begründet. Achtelik, der in Teilzeit als Unternehmensberater arbeitet und eine Familie hat, sieht sich nicht mehr in der Lage, das politische Ehrenamt mit der nötigen Sorgfalt auszuüben.
Er kritisiert, dass Entscheidungen über einen Haushalt von mehr als sechs Milliarden Euro quasi nach Feierabend getroffen werden. „Köln wird nach Feierabend regiert“, so seine pointierte Zusammenfassung. Diese Situation führe zu einer ständigen Unsicherheit bei Abstimmungen, was für ihn ein wesentlicher Grund war, nicht erneut zu kandidieren.
„Dass so viele Entscheidungen unter Unsicherheit von einem abverlangt werden, ist ein Grund, warum ich nicht nochmal kandidierte. Kommunalpolitik in dieser Größenordnung muss dringend professionalisiert werden.“ – Christian Achtelik, Volt
Die finanzielle Realität der Kölner Kommunalpolitik
Die finanzielle Vergütung für die Ratsmitglieder steht in starkem Kontrast zur Verantwortung, die sie tragen. Die Fakten zeigen ein deutliches Ungleichgewicht:
- Aufwandsentschädigung: 541 Euro pro Monat.
 - Sitzungsgeld: 26 Euro für jede Teilnahme an einer Gremiensitzung.
 - Verantwortung: Ein städtischer Haushalt von 6,45 Milliarden Euro im laufenden Jahr, was das Budget einiger Bundesländer übersteigt.
 
Zeitaufwand im Ehrenamt
Eine Studie des Zentrums für Forschung in der Verwaltung (Zefir) aus dem Jahr 2017 ergab, dass Ratsmitglieder in nordrhein-westfälischen Großstädten im Durchschnitt 32,5 Stunden pro Monat für ihr Mandat aufwenden. Bei Fraktionsvorsitzenden steigt dieser Wert auf 56,4 Stunden monatlich.
Der Vergleich mit anderen deutschen Großstädten macht die Diskrepanz noch deutlicher. In München beispielsweise erhalten Stadtratsmitglieder eine monatliche Entschädigung von 2.981 Euro. SPD-Fraktionschef Christian Joisten bezeichnet dieses Modell als vorbildlich und argumentiert, dass Menschen in Vollzeitbeschäftigung kaum die Zeitressourcen für die anspruchsvolle Ratsarbeit aufbringen können.
Parteien fordern Reformen – aber der Zeitpunkt ist umstritten
Der Ruf nach einer Professionalisierung findet im Kölner Rat breite Unterstützung. Neben Volt sprechen sich auch Grüne, SPD, die Linke und die FDP für eine bessere Bezahlung aus. Christiane Martin, Fraktionsvorsitzende der Grünen, betont die Notwendigkeit einer landesweiten Initiative, um das Engagement im Rat für Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen zu ermöglichen. „Das ist für eine lebendige Demokratie unabdingbar“, so Martin.
Auch FDP-Fraktionschef Volker Görzel nennt die aktuelle Entschädigung einen „Witz“, insbesondere angesichts von Entscheidungen über hunderte Millionen Euro, wie etwa beim U-Bahn-Bau auf der Ost-West-Achse. Das stehe in keinem Verhältnis.
CDU sieht Haushaltskrise als Hinderungsgrund
Die CDU-Fraktion teilt zwar die Einschätzung, dass der Arbeitsaufwand in keinem Verhältnis zur Entschädigung steht, sieht den aktuellen Zeitpunkt jedoch kritisch. Fraktionschef Bernd Petelkau argumentiert: „In Zeiten, in der viele Kommunen bereits im oder kurz vor einem Haushaltssicherungskonzept stehen, stellt sich aktuell eine solche Frage nicht.“ Köln steht vor prognostizierten Verlusten in dreistelliger Millionenhöhe, was eine Debatte über höhere Politikergehälter politisch heikel macht.
Vorstoß von Oberbürgermeisterin Reker
Bereits 2018 hatte Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) eine bessere finanzielle Ausstattung der Ratsmitglieder gefordert. In einem Brief an den damaligen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) schrieb sie, dass eine ehrenamtliche Tätigkeit in einer Millionenstadt „nicht mehr zeitgemäß“ sei. Eine bessere Entschädigung sei nötig, damit Mandatsträger ihre berufliche Tätigkeit reduzieren können, um mehr Zeit für die Politik zu haben. An dieser Haltung hat sich laut ihrem Sprecher bis heute nichts geändert.
Demografische Folgen des Ehrenamts
Die aktuelle Struktur der Kommunalpolitik hat messbare Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Parlamente. Eine Enquetekommission des Landtags NRW stellte fest, dass die Arbeit immer komplexer wird und die Vereinbarkeit mit Privatleben und Beruf leidet. Dies führt zu einer „Quasi-Halbtagsmandaten“, die sich nur bestimmte Personengruppen leisten können.
Die Konsequenzen sind eindeutig:
- Unterrepräsentation von Frauen: Je höher die politische Position, desto geringer der Frauenanteil. Heiner Kockerbeck, Sprecher der Linken-Fraktion, warnt, dass Politik für viele Frauen unvereinbar mit ihrem Alltag bleibt, solange sie ein schlecht bezahltes Ehrenamt mit hohem Zeitaufwand ist.
 - Fehlende junge Menschen: Obwohl ein Drittel der Bevölkerung in NRW zwischen 19 und 45 Jahre alt ist, stellt diese Altersgruppe nur jeden fünften Mandatsträger in den Städten.
 
Der Rücktritt des 37-jährigen Christian Achtelik ist ein exemplarisches Beispiel für dieses Problem. Die Debatte in Köln steht somit stellvertretend für eine grundlegende Frage: Wie kann sichergestellt werden, dass kommunale Parlamente die Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt abbilden und nicht nur ein Gremium für diejenigen sind, die es sich zeitlich und finanziell leisten können?




