Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem verheerenden Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße öffnet eine neue Ausstellung ihre Türen. Unter dem Titel „Von der Nagelbombe bis zum Mahnmal – 21 Jahre danach“ lädt sie in der Schanzenstraße zu einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Gedenkens ein. Das Projekt, eine Zusammenarbeit der Initiative „Keupstraße“ und einer Kölner Gesamtschule, rückt die persönlichen Geschichten der Betroffenen in den Mittelpunkt und dient als eindringliche Mahnung gegen rechtsextreme Gewalt.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine neue Ausstellung in der Schanzenstraße thematisiert den NSU-Anschlag in der Keupstraße vom 9. Juni 2004.
- Sie wurde von der Initiative „Keupstraße“ gemeinsam mit Schülern einer Kölner Gesamtschule ins Leben gerufen.
- Der Fokus liegt auf den persönlichen Erzählungen der Überlebenden und Anwohner.
- Die Ausstellung soll als lebendiger Erinnerungsort dienen und vor den Gefahren des Rechtsextremismus warnen.
Ein Raum für Erinnerung und Dialog
Die Ausstellung in der Schanzenstraße ist mehr als nur eine historische Rückschau. Sie ist als ein lebendiger Ort konzipiert, an dem die Besucher die Ereignisse vom 9. Juni 2004 und ihre langjährigen Folgen nachvollziehen können. Anstatt nur Fakten zu präsentieren, legt die Schau einen besonderen Wert auf die menschliche Dimension der Tragödie. Sie stellt die Frage in den Raum: Wie geht es den Menschen, die damals in der Keupstraße lebten und arbeiteten, heute?
Durch persönliche Gegenstände, Videointerviews und Informationstafeln wird den Besuchern ein direkter Zugang zu den Erlebnissen der Betroffenen ermöglicht. Die Initiatoren wollen damit einen Raum schaffen, der nicht nur informiert, sondern auch zum Nachdenken und zum Dialog anregt. Es geht darum, die Erinnerung an den Anschlag wachzuhalten und die Lehren daraus für die Gegenwart zu ziehen.
Der Anschlag vom 9. Juni 2004
An diesem Tag zündeten Mitglieder der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) vor einem Friseursalon in der belebten Keupstraße in Köln-Mülheim eine Nagelbombe. 22 Menschen wurden bei dem Anschlag zum Teil schwer verletzt. Die Bombe, versteckt in einem Fahrradkorb, war mit über 700 Zimmermannsnägeln gefüllt, um eine maximale und tödliche Wirkung zu erzielen. Nur durch Zufall kam niemand ums Leben.
Die Last der falschen Verdächtigungen
Ein zentraler Aspekt der Ausstellung ist die Aufarbeitung des jahrelangen Leidens der Opfer nach dem Anschlag. Viele von ihnen wurden nicht nur körperlich und seelisch verletzt, sondern auch von den Ermittlungsbehörden zu Unrecht verdächtigt. Jahrelang wurde im Milieu der organisierten Kriminalität ermittelt, während die Betroffenen selbst unter Generalverdacht standen.
Diese „zweite Bombardierung“, wie es viele Anwohner nannten, verursachte tiefes Misstrauen und zusätzliche Traumata. Die Ausstellung dokumentiert diesen schmerzhaften Prozess und würdigt den langen Kampf der Keupstraßen-Gemeinschaft um Anerkennung als Opfer rassistischer Gewalt. Erst mit der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 wurde der rechtsextreme Hintergrund der Tat offiziell bestätigt.
Jugend gestaltet die Zukunft des Gedenkens
Besonders bemerkenswert ist die aktive Beteiligung einer Kölner Gesamtschule an der Konzeption und Umsetzung der Ausstellung. Schülerinnen und Schüler haben sich intensiv mit der Geschichte des Anschlags, den Biografien der Opfer und den Strukturen von Rechtsextremismus auseinandergesetzt. Ihre Perspektive prägt die Schau maßgeblich mit.
Dieses generationenübergreifende Projekt stellt sicher, dass die Erinnerung an die Tat auch bei jungen Menschen verankert wird, die zum Zeitpunkt des Anschlags noch nicht geboren waren. Die Zusammenarbeit zeigt, wie wichtig die aktive Einbindung der Jugend in die Gedenkkultur ist, um aus der Geschichte für die Zukunft zu lernen. Es ist ein klares Signal, dass die Verantwortung zur Auseinandersetzung mit Hass und Gewalt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.
Die NSU-Mordserie
Der Anschlag in der Keupstraße war Teil einer bundesweiten Serie von Verbrechen des NSU zwischen 2000 und 2007. Die Terrorzelle war für insgesamt zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verantwortlich. Neun der Mordopfer waren Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund, das zehnte Opfer war eine Polizistin.
Ein Mahnmal gegen das Vergessen
Die Ausstellung versteht sich auch als ein Baustein auf dem Weg zu einem dauerhaften Mahnmal, das an den Anschlag erinnern soll. Seit Jahren kämpft die Initiative „Keupstraße ist überall“ für einen würdigen Ort des Gedenkens direkt am Ort des Geschehens. Die Realisierung dieses Mahnmals hat sich immer wieder verzögert, doch der Wunsch der Anwohner und der Stadtgesellschaft bleibt ungebrochen.
Die Schau in der Schanzenstraße unterstreicht die Dringlichkeit dieses Anliegens. Sie macht deutlich, dass rechtsextreme Gewalt kein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte ist, sondern eine fortwährende Bedrohung darstellt. Die persönlichen Geschichten der Überlebenden sind eine kraftvolle Mahnung, wachsam zu bleiben und Rassismus und Hass in jeder Form entschieden entgegenzutreten.
Letztlich will die Ausstellung nicht nur zurückblicken, sondern auch nach vorne schauen. Sie fragt, was wir als Gesellschaft tun können, um solche Taten in Zukunft zu verhindern, und wie wir eine Kultur des Respekts und der Solidarität stärken können. Sie ist ein wichtiger Beitrag zur Kölner Stadtgeschichte und ein Appell an die Zivilcourage jedes Einzelnen.




