Das Schauspiel Köln hat eine neue, intime Spielstätte eingeweiht. Das „Depot 3“, ein ehemaliger Toilettenraum, feierte seine Premiere mit dem Stück „Die Rechnung“ des britischen Regisseurs Tim Etchells. Die 75-minütige Zwei-Personen-Komödie, aufgeführt von Frank Genser und Christoph Schüchner, entpuppt sich als ein brillantes Spiel mit Sprache, Logik und der Geduld des Publikums.
Das Wichtigste in Kürze
- Neue Spielstätte: Das Schauspiel Köln hat das „Depot 3“, einen ehemaligen Sanitärbereich, als neue, sehr kleine Bühne eröffnet.
 - Eröffnungsstück: Die Premiere feierte die Komödie „Die Rechnung“ von Regisseur Tim Etchells.
 - Absurdes Theater: Das Stück für zwei Schauspieler untersucht die Grenzen der Kommunikation und Logik in einer einfachen Restaurantszene.
 - Publikumserfolg: Trotz des anspruchsvollen Konzepts sorgte die Darbietung von Frank Genser und Christoph Schüchner für durchgehende Lacher.
 
Ein Raum, zwei Männer und eine Flasche Wein
Die neue Spielstätte des Kölner Schauspiels, das Depot 3, ist kaum größer als ein Wohnzimmer. Wo sich früher die Toiletten befanden, sitzen die Zuschauer nun nur wenige Zentimeter von der Bühne entfernt. Diese Nähe ist ein zentrales Element der Eröffnungspremiere „Die Rechnung“.
Die Ausgangssituation des Stücks ist denkbar einfach: Ein Gast sitzt an einem Tisch. Ein Kellner steht bereit, eine Flasche Wein zu servieren. Doch was als alltägliche Restaurantszene beginnt, entwickelt sich schnell zu einem chaotischen und philosophischen Ringen um Bedeutung, Kontrolle und den Sinn von Worten.
Die Schauspieler Frank Genser und Christoph Schüchner beginnen den Abend damit, dem Publikum die Regeln ihres „Spiels“ zu erklären. Doch schon diese Einführung gerät zu einer eigenen Comedy-Nummer, in der sich die beiden in Missverständnissen und logischen Schleifen verheddern.
Wer ist Tim Etchells?
Tim Etchells ist der künstlerische Leiter der britischen Theatergruppe „Forced Entertainment“. Die Gruppe ist seit den 1990er Jahren für ihre minimalistischen und oft humorvollen Produktionen bekannt, die die Mechanismen des Theaters selbst hinterfragen. „Die Rechnung“ wurde ursprünglich für das Theaterfestival in Avignon entwickelt.
Wenn Sprache ihre Bedeutung verliert
Der Kern des Stücks ist ein sogenanntes „Sprachspiel“, ein Konzept des Philosophen Ludwig Wittgenstein. Es geht um die Frage, wie Worte ihre Bedeutung durch ihren Gebrauch erhalten – und was passiert, wenn dieser Gebrauch ad absurdum geführt wird.
Ein Schlüsselmoment entsteht, als der Kellner dem Gast den Wein einschenkt. Er hört einfach nicht auf. Der Wein fließt über das Glas, über die Tischdecke, auf den Boden. Die Handlung bricht zusammen, und die Rollen von Gast und Kellner, von Herr und Knecht, beginnen zu verschwimmen. Wer bedient hier wen? Wer hat die Kontrolle?
„Ich schenke ein, ich schenke ein, ich schenke ein“, wiederholt der Kellner, während das Chaos wächst. Die Worte sind korrekt, doch die Handlung ist völlig unsinnig.
Genser und Schüchner wechseln ständig die Rollen, wiederholen Sätze, bis sie zu leeren Floskeln werden, und führen Handlungen aus, die wie Zwänge wirken. Sie sind gefangen in einer Situation, aus der es keinen logischen Ausweg zu geben scheint.
Die Kunst der kleinen Geste
Was das Stück vor einer reinen intellektuellen Übung bewahrt und zu einem großen Vergnügen macht, ist die herausragende Leistung der beiden Schauspieler. Frank Genser und Christoph Schüchner meistern den schmalen Grat zwischen Slapstick und tiefsinniger Komik.
Die extreme Nähe zum Publikum im Depot 3 erlaubt es ihnen, mit kleinsten mimischen und gestischen Mitteln zu arbeiten. Ein verwirrter Blick, eine wegwerfende Handbewegung oder ein Stottern genügen, um das Publikum zum Lachen zu bringen.
Vom stillen Örtchen zur Bühne
Das Depot 3 bietet eine besonders intime Theatererfahrung. Durch die geringe Größe des Raumes entsteht eine direkte Verbindung zwischen Darstellern und Zuschauern, die in größeren Sälen nicht möglich wäre. Jede Regung der Schauspieler ist aus nächster Nähe sichtbar.
Besonders einprägsam sind Momente wie Gensers wilder Tanz mit der tropfenden Tischdecke oder Schüchners wiederholte, genüssliche Beteuerung, wie sehr er „dieses Restaurant, diesen Wein, diesen Ober“ liebe. Es sind diese Momente, in denen das Publikum fast ununterbrochen lacht, obwohl die Situation auf der Bühne eigentlich von vollkommener Ausweglosigkeit geprägt ist.
Wer zahlt am Ende die Rechnung?
Im Laufe der 75 Minuten versuchen die beiden Figuren, ihrer Schleife zu entkommen. In einem verzweifelten Versuch spulen sie die Handlung 50 Jahre in die Zukunft vor, nur um festzustellen, dass dies auch keine Lösung bringt und viele der Zuschauer dann nicht mehr anwesend sein werden.
Am Ende bleibt die titelgebende Frage: Wer zahlt die Rechnung für dieses Chaos? Der Gast? Der Kellner? Die Schauspieler? Oder vielleicht sogar das Publikum, das diesem absurden Treiben zugesehen hat?
Die Antwort darauf bleibt offen. Viel wichtiger sind die Fragen, die das Stück aufwirft. Es führt dem Zuschauer auf unterhaltsame Weise vor Augen, wie brüchig unsere alltägliche Kommunikation ist und wie schnell das Selbstverständliche in Unsinn umschlagen kann. Ein gelungener, weil herausfordernder und zugleich extrem komischer Auftakt für die neue Kölner Spielstätte.




