Die Kölner Oper startet mit einer außergewöhnlichen Inszenierung in Richard Wagners vierteiligen Zyklus „Der Ring des Nibelungen“. Die Premiere von „Das Rheingold“ im Staatenhaus bricht mit traditionellen Darstellungen und erzählt die komplexe Geschichte von Macht, Gier und Verrat konsequent aus der Perspektive von Kindern. Das Bühnenbild, gestaltet von Pia Dederichs und Lena Schmid, macht die kindliche Fantasie zum zentralen Akteur des Abends.
Anstelle von Göttern in prunkvollen Hallen oder Zwergen in düsteren Minen, wie man sie kennt, erleben die Zuschauer eine Welt, die von Kindern auf der Bühne erschaffen wird. Sie ziehen Wolken auf, bauen die Götterburg Walhall aus einfachen Elementen und werden selbst zu den treibenden Kräften der Handlung. Dieser Ansatz stellt die zeitlosen Themen der Oper in einen neuen, berührenden Kontext.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Neuinszenierung von „Das Rheingold“ an der Kölner Oper erzählt die Geschichte aus der Sicht von Kindern.
- Das Bühnenbildkonzept von Pia Dederichs und Lena Schmid stellt die kindliche Fantasie in den Mittelpunkt.
- Kinderdarsteller sind aktiv am Bühnenumbau beteiligt und erschaffen die Spielwelten vor den Augen des Publikums.
- Die Inszenierung zeigt den Verlust der Fantasie als zentralen Konflikt, symbolisiert durch den Raub des Rheingolds.
- Der gesamte „Ring“-Zyklus ist für verschiedene Spielstätten konzipiert, was eine besondere technische Herausforderung darstellt.
Die Macht der kindlichen Vorstellungskraft
Der Kern des neuen Kölner „Rheingold“ ist eine radikale Idee: Das Gold, um das sich der ganze Konflikt dreht, ist hier kein materieller Schatz. Es symbolisiert die unberührte, grenzenlose Fantasie der Kindheit. „Wir erzählen die Geschichte als reine Fantasie, ungebremst vom Erwachsenenleben oder vom Alterungsprozess“, erklären die Bühnenbildnerinnen Pia Dederichs und Lena Schmid ihren Ansatz.
Die Inszenierung beginnt auf einer fast leeren Bühne. Es sind die Kinder, die als erste Akteure auftreten. Sie legen den ästhetischen Grundstein für die gesamte Götterwelt. Mit einfachen Mitteln, wie selbst gemalten Wolken, die sie auf die Bühne ziehen, erschaffen sie das Universum, in dem Götter und Riesen agieren. Das Publikum wird so von Beginn an eingeladen, die Welt durch die Augen der Kinder zu sehen.
Ein zentrales Bühnenelement sind zwei große Augenhälften, umrahmt von Glühbirnen, die ebenfalls von den Kindern hereingezogen werden. Dieses Symbol des kindlichen Blicks bleibt fast während des gesamten Stücks präsent und erinnert daran, wessen Geschichte hier eigentlich erzählt wird.
Ein kreativer Prozess mit Kindern
Um sich der kindlichen Welt authentisch zu nähern, bezogen die Bühnenbildnerinnen Kinder direkt in den Entstehungsprozess mit ein. „Zu Beginn haben wir daher meine Kinder malen lassen“, berichtet Pia Dederichs. Ihr Sohn habe mit großer Freude die Riesen Fasolt und Fafner sowie verschiedene Versionen von Walhall gezeichnet. Auch wenn nicht alle Entwürfe den Weg auf die Bühne fanden, war dieser Schritt entscheidend, um die Perspektive ernst zu nehmen und nicht aus einer erwachsenen Vorstellung heraus zu romantisieren.
Dieser Ansatz zeigt sich auch bei der Auswahl der jungen Darsteller. Es wurde gezielt nach sportlichen Kindern gesucht, viele stammen aus Turnvereinen. Ihre körperliche Gewandtheit ist notwendig, da sie nicht nur spielen, sondern auch klettern und die komplexen Umbauten auf der Bühne selbst durchführen.
Der „Ring des Nibelungen“ in Köln
Richard Wagners vierteiliger Opernzyklus ist eines der monumentalsten Werke der Operngeschichte. Die Kölner Neuproduktion unter der Regie von Paul-Georg Dittrich und der musikalischen Leitung von Marc Albrecht mit dem Gürzenich-Orchester ist ein lang erwartetes Großprojekt. Nach „Das Rheingold“ (2025) und „Die Walküre“ (2026) im Staatenhaus sollen „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ im sanierten Opernhaus am Offenbachplatz aufgeführt werden.
Vom Märchen zur düsteren Realität
Die Inszenierung vollzieht eine dramatische Wandlung. Was als spielerische Märchenwelt beginnt, wird mit dem Raub des Rheingolds zunehmend düsterer. Der Zwerg Alberich stiehlt nicht nur das Gold, sondern er raubt den Kindern ihre Fantasie. „Die Kinder verlieren ihre Fantasie, sie werden von Alberich ausgesaugt, fast dämonisiert“, beschreibt Dederichs diesen Wendepunkt. Am Ende bleibe nur noch eine leere Hülle zurück.
Dieser Verlust wird auf der Bühne eindrücklich visualisiert. Die Welt der Kinder wird buchstäblich zerstört. Ein Vorhang mit all ihren Zeichnungen und Projektionen wird heruntergerissen. Die Riesen kommen mit einem Bagger und zerstören das idyllische Naturbild. Die unbeschwerte Welt der Fantasie weicht der kalten Logik von Macht und Besitz der Erwachsenen.
Zahlen und Fakten zur Premiere
- Werk: „Das Rheingold“ von Richard Wagner
- Ort: Staatenhaus Köln, Saal 1
- Regie: Paul-Georg Dittrich
- Musikalische Leitung: Marc Albrecht
- Orchester: Gürzenich-Orchester Köln
- Besetzung u.a.: Jordan Shanahan, Mauro Peter, Daniel Schmutzhard, Karl-Heinz Lehner
Nibelheim als Fabrik der Ängste
Besonders eindrücklich wird dieser Wandel in der Darstellung von Nibelheim, der Unterwelt Alberichs. Hier müssen die versklavten Nibelungen den Schatz für ihn schmieden. In der Kölner Inszenierung ist Nibelheim ein mehrstöckiges Gerüst, das an eine Fabrik erinnert. Jeder Raum in diesem Gerüst steht symbolisch für eine kindliche Angst.
Die Kinderdarsteller klettern in diese bedrohliche Konstruktion hinein, wo ihnen ihre Energie und Vorstellungskraft entzogen wird. Die spielerische Leichtigkeit des Anfangs ist einer mechanischen, entmenschlichten Welt gewichen. Es ist der Moment, in dem die Götter und Zwerge mit ihrer Hybris die Bühne übernehmen und die Kinder an den Rand drängen.
Theater als Ort der Imagination
Obwohl Wagners „Ring“ oft für politische Interpretationen genutzt wird, verzichtet die Kölner Inszenierung bewusst auf direkte tagespolitische Anspielungen. Man hätte Wotan als modernen Tech-Milliardär wie Elon Musk inszenieren können, doch das war nicht der Weg des Kreativteams. „Uns interessiert das Fantastische: Theater als Ort der Imagination, nicht nur der Aktualisierung“, betont Lena Schmid.
„Die Probleme, die im ‚Rheingold‘ gezeigt werden, also Macht, Besitz, Entfremdung, sind so zeitlos wie Märchen. Das wollen wir zeigen.“
Die zeitlosen Themen des Stücks werden durch die kindliche Perspektive nicht verharmlost, sondern auf eine universelle, menschliche Ebene gehoben. Der Verlust der Fantasie wird zur eigentlichen Tragödie, die dem Streben nach Macht und Reichtum zugrunde liegt.
Eine technische Herausforderung
Die Produktion stellt auch an das technische Team hohe Anforderungen. Da der erste Teil des Zyklus im Staatenhaus ohne die komplexe Bühnenmaschinerie eines traditionellen Opernhauses auskommen muss, müssen alle Umbauten manuell und punktgenau zur Musik erfolgen. Dass dies ohne Pausen gelingt, ist eine beachtliche Leistung.
Die Planung für den gesamten Zyklus musste zudem flexibel sein. Ursprünglich war „Das Rheingold“ für das Opernhaus am Offenbachplatz geplant. Die Verlegung ins Staatenhaus erforderte eine komplette Neukonzeption für völlig andere räumliche Dimensionen. Die späteren Teile des „Rings“ werden dann wieder im sanierten Opernhaus stattfinden, was bedeutet, dass das Bühnenbildkonzept für beide Orte funktionieren muss.
Die Premiere am Sonntag ist bereits ausverkauft, aber für weitere Vorstellungen am 29. und 31. Oktober sowie am 2. und 6. November sind noch Karten erhältlich. Mit diesem mutigen und poetischen Ansatz setzt die Kölner Oper ein starkes Zeichen zum Auftakt ihres ambitionierten „Ring“-Projekts.




