Ein bedeutendes, aber oft übersehenes Kapitel der Kölner Stadt- und deutschen Arbeitergeschichte wird zur Musical-Bühne gebracht. Das Sanat Ensemble unter der Leitung von Nedim Hazar hat den wilden Ford-Streik von 1973 in ein Musiktheaterstück mit dem Titel „Baha und die wilden 70er“ verwandelt. Die Uraufführung findet am 10. Oktober im Kölner Comedia-Theater statt und ist bereits ausverkauft.
Das Stück erzählt die Geschichte des Arbeitskampfes aus der Perspektive seines charismatischen Anführers Baha Targün und beleuchtet den Mut der sogenannten „Gastarbeiter“, die für bessere Löhne und mehr Anerkennung kämpften. Es ist eine Neubewertung eines Ereignisses, das damals als „Türken-Terror“ verunglimpft wurde und heute als Meilenstein der Demokratiegeschichte gilt.
Wichtige Fakten im Überblick
- Historisches Ereignis: Das Musical basiert auf dem inoffiziellen Ford-Streik in Köln im August 1973.
 - Zentrale Figur: Im Mittelpunkt steht Baha Targün, der Wortführer des Streiks.
 - Künstlerische Leitung: Nedim Hazar und sein Sanat Ensemble sind für die Produktion verantwortlich.
 - Musikalische Unterstützung: Hazars Sohn, der Rapper Eko Fresh, hat einen Song zum Stück beigesteuert.
 - Premiere: Die Uraufführung am 10. Oktober im Comedia-Theater ist bereits ausverkauft, weitere Termine sind angesetzt.
 
Ein vergessener Arbeitskampf auf der Bühne
Im Keller des Restaurants „Mahal“ in der Kölner Südstadt proben Schauspieler in blauen Arbeiteroveralls den Aufstand. Sie rufen Parolen für bessere Arbeitsbedingungen und fordern lautstark: „Eine Mark mehr für alle!“ Diese Szene ist Teil der Proben für „Baha und die wilden 70er“, einem Musical, das einen der turbulentesten Arbeitskämpfe der deutschen Nachkriegsgeschichte aufarbeitet.
Der Musiker und Filmemacher Nedim Hazar möchte mit seinem Ensemble ein Stück Geschichte wiederbeleben, das lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Der sogenannte „Türkenstreik“ bei Ford im Jahr 1973 war ein gescheiterter, inoffizieller Arbeitskampf, der nun als Stoff für einen unterhaltsamen Theaterabend dient.
Die Rolle von Eko Fresh
Eine moderne musikalische Brücke zur Vergangenheit schlägt der bekannte Kölner Rapper Eko Fresh, Nedim Hazars Sohn. Er hat den zentralen Slogan des Streiks in einen kraftvollen Popsong verwandelt. „Wie es ausging, weißt du schon. Keiner mag mehr drüber reden. Sie wollten nur eine Mark mehr zum Überleben“, rappt er in seinem Lied. Das dazugehörige Video wurde symbolträchtig vor dem alten Werkstor von Ford gedreht, wo damals die Arbeiter die Produktionshalle besetzt hatten.
„Wenn wir nicht davon erzählen, wird es kein anderer tun“, erklärt Eko Fresh die Motivation hinter dem Projekt.
Obwohl sein voller Terminkalender eine Teilnahme auf der Bühne verhinderte, leistet er mit seinem Song einen wichtigen Beitrag. Das Stück sei eine „Einladung zum Empowerment“, zur Selbstermächtigung, ergänzt sein Vater.
Wer war Baha Targün?
Baha Targün, die Hauptfigur des Musicals, kam 1969 als Tourist nach Deutschland und blieb, um zu studieren und zu arbeiten. Während des Streiks bei Ford im August 1973 wurde der redegewandte und charismatische Mann schnell zum Wortführer der Bewegung. Für Eko Fresh ist er ein „krasses Vorbild“. Targün verstarb im Jahr 2020 bei einem Unfall.
Historische Neubewertung eines Konflikts
Der Umgang mit dem Streik von 1973 ist ein dunkles Kapitel für die damalige deutsche Gesellschaft. Tausende ausländische Arbeiter organisierten sich ohne die Unterstützung der offiziellen Gewerkschaft IG Metall und des Betriebsrats. Sie forderten nicht nur einen höheren Lohn, sondern brachen auch aus der ihnen zugedachten Rolle der gehorsamen „Gastarbeiter“ aus.
Die Reaktion war heftig. Medienberichte schürten Fremdenfeindlichkeit und sprachen von einem Konflikt „der Türken“ gegen „die Deutschen“. Begriffe wie „Türken-Terror“ machten die Runde. Die Situation eskalierte, als leitende Angestellte und angeheuerte Streikbrecher die protestierenden Arbeiter mit Knüppeln und Schlagringen angriffen, während Unternehmensleitung und Gewerkschaftsvertreter tatenlos zusahen.
Vom „Angriff“ zum „Meilenstein“
Was damals als Angriff auf die öffentliche Ordnung dargestellt wurde, wird heute als wichtiger Schritt in der Entwicklung der Bundesrepublik betrachtet. Die bundeseigene Stiftung „Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ wird das Kölner Theaterprojekt auszeichnen. Diese veränderte Wahrnehmung zeigt sich auch in der breiten Unterstützung: Die Stadt Köln, das Land NRW und sogar die IG Metall fördern das Musical heute.
Ein unterhaltsamer Abend statt Geschichtsunterricht
Nedim Hazar betont, dass das Musical keine trockene, akademische Aufarbeitung der Ereignisse sein soll. Stattdessen erwartet das Publikum ein „lustvoller Theaterabend“ über eine faszinierende Persönlichkeit und eine aufregende Zeit. Politische Details wie der damalige Konflikt mit der Gewerkschaft werden bewusst ausgeklammert, um den Fokus auf die menschliche Geschichte zu legen.
Musikalische Vielfalt
Die Musik des Stücks spiegelt die kulturellen Einflüsse der Zeit und der Protagonisten wider. Hazar, der selbst mit Musicals wie „Hair“ und der Rockoper „Tommy“ aufwuchs, verbindet diese westlichen Einflüsse mit türkischen und klassischen Klängen. Auf der Bühne sorgt eine vielseitige Besetzung für den richtigen Ton:
- Eine Rockband
 - Ein Streichertrio
 - Türkische Instrumentalisten
 
Das Musical erzählt nicht nur von den dramatischen Streiktagen, sondern wirft auch einen Blick darauf, wie das Leben des Helden Baha Targün nach dem Scheitern des Arbeitskampfes weiterging.
Großes Interesse und Zukunftspläne
Das Interesse an der Geschichte von „Baha und die wilden 70er“ ist enorm. Die Premiere am 10. Oktober im Comedia-Theater in der Vondelstraße ist bereits restlos ausverkauft. Weitere Vorstellungen sind für den 4., 5. und 6. November angesetzt.
Die Anerkennung des Projekts reicht weit über Köln hinaus. Eine Aufführung im Hambacher Schloss, einem zentralen Ort der deutschen Demokratiebewegung, ist für November geplant. Für das Jahr 2026 ist eine deutschlandweite Tournee in Vorbereitung, mit Gastspielen in Berlin, Stuttgart, Bremen, Nürnberg und Neuss.
Darüber hinaus arbeitet Nedim Hazar an einem Kinofilm. Dieser soll als abendfüllende Dokumentation Spielszenen aus dem Musical mit historischem Bildmaterial und Interviews mit Zeitzeugen verbinden, um die Geschichte des Ford-Streiks für ein noch breiteres Publikum zugänglich zu machen.




