In der Kölner Volksbühne stellte der Autor Michel Abdollahi im Rahmen der lit.Cologne spezial sein neues Buch „Es ist unser Land“ vor. Im Gespräch mit dem Kabarettisten Fatih Çevikkollu analysierte er die Strategien rechter Bewegungen und die wachsende gesellschaftliche Spaltung in Deutschland. Der Abend bot eine eindringliche Mahnung, das Land nicht populistischen Kräften zu überlassen.
Wichtige Erkenntnisse
- Michel Abdollahi präsentierte sein Buch „Es ist unser Land“ und diskutierte über den Aufstieg rechter Ideologien.
- Er identifizierte die Social-Media-Dominanz der AfD als einen entscheidenden Faktor für deren Erfolg.
- Die etablierten Parteien versäumen es laut Abdollahi, den digitalen Raum effektiv zu nutzen und Wähler zurückzugewinnen.
- Der Abend verband ernste politische Analyse mit persönlichen Anekdoten und humorvollen Momenten.
Die neue Realität deutscher Identität
Zu Beginn der Veranstaltung auf der Bühne der Volksbühne machten Michel Abdollahi und Fatih Çevikkollu eine klare Ansage. „Wir zwei repräsentieren Deutschland. Ja – so sehen die jetzt aus!“, erklärte Abdollahi. Diese Feststellung zielte direkt auf die Debatte um Zugehörigkeit und Identität in einem Einwanderungsland ab.
Fatih Çevikkollu, obwohl sein Name auf eine internationale Biografie hindeutet, unterstrich dies mit einer lokalen Anekdote. „Ich bin einer der wenigen geborenen Kölner hier im Raum“, sagte er. Er sei in Nippes geboren und habe dort den größten Teil seines Lebens verbracht. Diese Verwurzelung steht im starken Kontrast zu den Forderungen rechter Gruppen, Menschen wie ihn aus dem Land zu entfernen.
Auch Abdollahi selbst ist ein Beispiel für die Vielschichtigkeit moderner deutscher Identität. Er kam im Alter von fünf Jahren aus dem Iran nach Deutschland und spricht heute mit einem unverkennbaren Hamburger Dialekt. Diese gelebte Realität diente als Ausgangspunkt für die zentrale Frage des Abends: Was bedeutet es heute, deutsch zu sein?
Analyse des rechten Erfolgs
Der Kern der Diskussion widmete sich der Frage, wie es rechtspopulistischen Parteien wie der AfD gelingen konnte, einen so großen Einfluss zu gewinnen. Abdollahi argumentierte, dass sich die rechte Szene fundamental gewandelt habe. Die Zeiten der „tumben Skinheads“ seien vorbei. Stattdessen präsentiere man sich heute bürgernah und zugänglich, um eine schleichende Radikalisierung zu ermöglichen.
Die Macht der sozialen Medien
Ein entscheidender Vorteil der AfD ist laut Abdollahi ihre Überlegenheit in den sozialen Medien. „Die AfD hat mehr Follower als alle anderen Parteien zusammen“, stellte er fest. Diese digitale Dominanz ermögliche es der Partei, ihre Botschaften direkt und ohne journalistische Filter an ein breites Publikum zu senden. Dies führe zu einer schleichenden Indoktrination, die oft schon im Kindesalter beginne.
Digitale Reichweite
Laut Abdollahis Analyse übertrifft die kombinierte Follower-Zahl der AfD auf den wichtigsten Social-Media-Plattformen die aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien. Dies verschafft ihr einen erheblichen Vorteil in der öffentlichen Meinungsbildung und im Wahlkampf.
Er kritisierte Eltern, die ihren Kindern unkontrolliert Zugang zu digitalen Geräten gewähren. „Es ist eben so schön bequem, einfach ein Handy in den Kinderwagen zu werfen und zu sagen: Guck da mal druff und halt die Klappe“, formulierte er provokant.
Unbeachtete Probleme im Osten
Als weiteren Grund für den Erfolg rechter Parteien nannte Abdollahi die Versäumnisse der Politik seit den 1990er Jahren. „Viele Ostdeutsche haben Probleme, die wir zu lange nicht gesehen haben“, sagte er. Das Gefühl, von den etablierten Parteien abgehängt worden zu sein, habe viele Menschen empfänglich für die einfachen Antworten der Populisten gemacht.
Die Entwicklung der AfD
Abdollahi erinnerte daran, dass die AfD in ihren Anfängen im Vergleich zu heute fast harmlos gewirkt habe. Seine ironische Bemerkung – „Wer wünscht sich heute nicht Frauke Petry und Jörg Meuthen zurück?“ – verdeutlichte die fortschreitende Radikalisierung der Partei aus seiner Sicht.
Persönliche Erfahrungen und Lösungsansätze
Abdollahi sprach auch offen über seine eigene Entwicklung. Früher habe er das Gefühl gehabt, sich anpassen zu müssen, um akzeptiert zu werden. Er beschrieb eine Zeit, in der er sich nicht getraut hätte, unrasiert und ohne Krawatte auf eine Bühne zu gehen. Sein übertriebener Wert auf eine perfekte Artikulation sei ein weiteres Zeichen dieser „Überangepasstheit“ gewesen.
„Helmut Schmidt, Hegel oder Kant hätten sich hingeworfen und mich angebetet.“
Heute trete er selbstbewusst so auf, wie er sich wohlfühle. Diese persönliche Befreiung stehe symbolisch für den Anspruch, als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden, ohne sich verstellen zu müssen.
Trotz der ernsten Lage zeigte sich Abdollahi nicht gänzlich pessimistisch. Er glaubt an die Wirksamkeit des direkten Gesprächs. In persönlichen Begegnungen habe er bereits Menschen erreicht, die sich rechten Parteien zugewandt hatten. Durch sachliche Argumentation und das Entlarven populistischer Versprechen sei es ihm gelungen, ein Umdenken anzustoßen.
Diese Einzelfälle könnten jedoch kein Ersatz für eine umfassende Strategie sein. Er forderte die etablierten Parteien auf, den Kampf um die digitale Öffentlichkeit endlich anzunehmen und ihre Wählerschaft auf den Plattformen zurückzugewinnen, auf denen sie sich heute informiert.
Der Abend in der Volksbühne bot dem Publikum zahlreiche Denkanstöße. Trotz einiger Lacher sorgte Abdollahi dafür, dass der Ernst der Lage im Vordergrund blieb. Seine abschließende Botschaft war unmissverständlich: „Das Thema ist überhaupt nicht lustig!“




