Ein führender europäischer Militärexperte, Gustav Gressel, hat eine deutliche Warnung ausgesprochen. Er hält einen russischen Angriff auf weitere Teile Europas nach dem Ende des Krieges in der Ukraine für unausweichlich und schätzt die Wahrscheinlichkeit mittlerweile auf 100 Prozent. Seiner Analyse zufolge verfolgt Moskau eine langfristige Strategie, die darauf abzielt, die NATO und die Europäische Union von innen heraus zu schwächen.
Wichtige Erkenntnisse
- Eskalationsrisiko: Der Militärstratege Gustav Gressel schätzt die Wahrscheinlichkeit eines russischen Angriffs auf ein EU-Land auf 100 Prozent, sobald Moskau seine Streitkräfte neu formiert hat.
- Russlands Strategie: Das Ziel sei die Zersetzung von NATO und EU durch das Schüren von Misstrauen, um bilaterale Abkommen mit einzelnen Staaten zu erzwingen.
- Gezielte Provokationen: Wiederholte Verletzungen des NATO-Luftraums dienen laut Experten als Tests der Reaktionsfähigkeit und Abwehrbereitschaft des Bündnisses.
- Schwächen in der Abwehr: Jüngste Vorfälle, bei denen nur wenige russische Drohnen abgefangen werden konnten, offenbaren erhebliche Lücken in der europäischen Luftverteidigung.
Russlands Plan zur Schwächung Europas
Die wiederholten Vorfälle im Luftraum über NATO-Gebiet sind nach Ansicht von Sicherheitsexperten keine zufälligen Ereignisse. Vielmehr deuten sie auf ein kalkuliertes Vorgehen Russlands hin, das weit über reine Provokation hinausgeht. Gustav Gressel, ein anerkannter Experte für russische Militärstrategie, analysiert diese Aktionen als Teil eines größeren Plans.
Laut Gressel ist das übergeordnete Ziel Moskaus, die europäische Sicherheitsarchitektur grundlegend zu verändern. „Das Ziel ist, Nato und EU zur Selbstauflösung zu treiben – indem man das Vertrauen der Mitgliedstaaten in das Bündnis erschüttert“, erklärte Gressel laut einem Bericht der „Welt“. Durch das systematische Schüren von Angst und Unsicherheit solle ein Klima geschaffen werden, in dem einzelne Länder die kollektive Sicherheit infrage stellen.
Die Strategie des Misstrauens
Russlands Vorgehen zielt darauf ab, den Eindruck zu erwecken, dass die Sicherheitsgarantien der NATO nicht verlässlich sind. Wenn Mitgliedstaaten beginnen, an der Beistandspflicht zu zweifeln, könnten sie eher geneigt sein, separate Sicherheitsabkommen mit Moskau zu schließen. Dies würde die Einheit des Bündnisses untergraben und Russlands Einfluss in Europa erheblich stärken.
Diese Einschätzung wird von hochrangigen Militärs geteilt. Auch der deutsche Generalinspekteur Carsten Breuer betonte, dass Wladimir Putin die Reaktionen des Westens genau beobachte. Jede Verzögerung und jedes Zögern werde in Moskau als Zeichen der Schwäche interpretiert.
Luftraumverletzungen als Test für die NATO
Die Taktik der gezielten Nadelstiche manifestiert sich am deutlichsten in den wiederholten Verletzungen des NATO-Luftraums durch russische Kampfjets und Drohnen. Diese Vorfälle dienen einem doppelten Zweck: Sie testen die technischen Fähigkeiten und die Reaktionszeiten der westlichen Luftverteidigungssysteme.
Jedes Mal, wenn ein russisches Flugzeug unautorisiert in den Luftraum eines Bündnispartners eindringt, muss die NATO reagieren. Abfangjäger steigen auf, Radarsysteme werden aktiviert und Befehlsketten in Gang gesetzt. Moskau sammelt dabei wertvolle Daten über die Effizienz dieser Abläufe. Wo sind die Schwachstellen? Wie schnell erfolgt eine Reaktion? Welche Radarsysteme sind im Einsatz?
Ein alarmierender Vorfall
Ein besonders aufschlussreicher Vorfall ereignete sich kürzlich über Polen. Von 19 russischen Langstreckendrohnen, die in den Luftraum eindrangen, konnten die NATO-Streitkräfte nur vier abfangen. Dies entspricht einer Erfolgsquote von lediglich rund 21 Prozent und zeigt eine erhebliche Verwundbarkeit gegenüber modernen Drohnensystemen.
Gressel bestätigte gegenüber der „Welt“ diese Schwäche und bezeichnete die mangelnde Vorbereitung auf Drohnenangriffe als kritisch. Diese Lücke in der Verteidigungsfähigkeit könnte in einem zukünftigen Konflikt schwerwiegende Folgen haben.
Die Bedrohung nach dem Ukraine-Krieg
Während die russischen Streitkräfte derzeit stark in der Ukraine gebunden sind, warnen Experten eindringlich davor, dies als dauerhaften Zustand anzusehen. Gressel prognostiziert, dass Moskau die Zeit nach einem potenziellen Ende der Kampfhandlungen nutzen wird, um seine Armee neu zu organisieren, zu modernisieren und für einen nächsten, größeren Konflikt vorzubereiten.
„Aber wenn diese Neuaufstellung abgeschlossen ist, kann Moskau auch den Rest Europas angreifen“, so Gressels düstere Prognose. Seine Einschätzung der Gefahr hat sich dramatisch verschärft.
Hatte er die Wahrscheinlichkeit eines solchen Krieges zunächst auf 80 Prozent geschätzt, legt er nun nach. In einem Interview mit „BR24“ erklärte er unmissverständlich: „Wir stehen auf 100 Prozent Wahrscheinlichkeit, dass dieser Krieg kommt.“ Diese Aussage unterstreicht die Dringlichkeit, die europäische Verteidigungsfähigkeit massiv zu stärken.
Internationale Reaktionen und Forderungen
Die wachsende Bedrohung führt zu einem Umdenken auf internationaler Ebene. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nutzte eine Rede vor dem UN-Sicherheitsrat, um eindringlich für die Schaffung einer internationalen Luftabwehr-Koalition zu werben. Sein Argument: Ein gemeinsamer und lückenloser Luftverteidigungsschirm würde Russland die Fähigkeit zu Luftangriffen nehmen.
„Wenn wir unseren Luftraum stärken und mit einem gemeinsamen System gegen russische Raketen und Drohnen abriegeln könnten, dann ist Russland gezwungen, die Luftangriffe einzustellen“, erklärte Selenskyj. Seine Forderung zielt darauf ab, die Verteidigung von einer rein nationalen Aufgabe zu einer kollektiven Anstrengung zu machen.
Selbst in den USA scheint sich die Haltung zu verändern. Der frühere US-Präsident Donald Trump, dem lange eine Nähe zu Putin nachgesagt wurde, vollzog nach einem Treffen mit Selenskyj eine bemerkenswerte Wende. Er erklärte nicht nur, dass die Ukraine ihr Territorium zurückgewinnen könne, sondern bejahte gegenüber Reportern auch die Frage, ob NATO-Länder bei Luftraumverletzungen russische Flugzeuge abschießen sollten.
Die Analyse von Experten wie Gustav Gressel macht deutlich, dass die aktuellen Spannungen mehr sind als nur eine vorübergehende Krise. Sie könnten die Vorboten eines langfristigen Konflikts sein, auf den sich Europa vorbereiten muss. Die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit, insbesondere gegen neue Bedrohungen wie Drohnenschwärme, und die Festigung des politischen Zusammenhalts innerhalb der NATO und EU werden dabei zu entscheidenden Faktoren für die Sicherheit des Kontinents.




