In Nordrhein-Westfalen bereiten sich Behörden und Unternehmen auf den Ernstfall vor. Angesichts wachsender Bedrohungen durch Cyberangriffe und Sabotage rückt die zivile Wirtschaft in den Mittelpunkt der nationalen Verteidigungsstrategie. Vertreter von Bundeswehr und Verfassungsschutz informierten kürzlich über die neuen Herausforderungen und die entscheidende Rolle, die auch kleine Betriebe spielen.
Die geografische Lage von NRW macht das Bundesland zu einer logistischen Drehscheibe für die NATO. Im Verteidigungsfall würde die gesamte militärische Versorgung der Ostflanke durch die Region laufen, was die lokale Wirtschaft zu einem wichtigen Partner und zugleich einem potenziellen Ziel macht.
Das Wichtigste in Kürze
- Nordrhein-Westfalen ist aufgrund seiner Infrastruktur eine zentrale Logistikdrehscheibe für die NATO im Verteidigungsfall.
 - Unternehmen könnten zur Unterstützung der Bundeswehr verpflichtet werden, etwa durch die Bereitstellung von Transportmitteln oder Dienstleistungen.
 - Der Verfassungsschutz warnt vor einer massiven Zunahme von Cyberangriffen und Spionage, die auf die deutsche Wirtschaft abzielen.
 - Der wirtschaftliche Schaden durch Spionage und Sabotage in Deutschland belief sich im letzten Jahr auf fast 300 Milliarden Euro.
 
NRW als strategische Drehscheibe der NATO
Die Bedeutung Nordrhein-Westfalens für die Bündnisverteidigung ist kaum zu überschätzen. „Im Ernstfall eines Angriffs auf NATO-Gebiet im Osten wäre NRW Aufmarschgebiet der Bundeswehr und ihrer Verbündeten“, erklärte Brigadegeneral Hans-Dieter Müller vom Landeskommando NRW der Bundeswehr bei einer Veranstaltung der Niederrheinischen IHK in Duisburg.
Die Hauptverbindungsrouten von den wichtigen Seehäfen in Rotterdam und Antwerpen führen direkt durch das Bundesland in Richtung Polen und Baltikum. Diese Achse sei entscheidend für den Nachschub von Truppen, Material und Ausrüstung. Deutschland und insbesondere NRW fungieren dabei als zentrale Drehscheibe für die gesamte NATO-Logistik.
Die Rolle der zivilen Unternehmen
Wenn die aktiven Soldaten an der Front im Einsatz sind, ist die Bundeswehr auf die Unterstützung ziviler Unternehmen angewiesen. Die Aufgaben sind vielfältig und reichen weit über reine Transportleistungen hinaus.
So könnten lokale Firmen beauftragt werden, an Sammelpunkten für durchziehende Militärkonvois mobile Toiletten bereitzustellen oder die Verpflegung zu organisieren. Speditionen müssen sich darauf einstellen, dass die Bundeswehr im Verteidigungsfall private Lastwagen für militärische Zwecke beschlagnahmen kann. Dieses als Requirierung bekannte Verfahren ist gesetzlich verankert.
Was bedeutet Requirierung?
Im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann der Staat nach dem Schutzbereichgesetz und dem Bundesleistungsgesetz auf private Ressourcen zurückgreifen. Dies umfasst nicht nur Fahrzeuge, sondern auch Immobilien oder andere Dienstleistungen, die für die Verteidigungsfähigkeit als notwendig erachtet werden.
Zudem wies Müller auf ein weiteres Problem hin: Viele Lkw-Fahrer in deutschen Speditionen stammen aus osteuropäischen Ländern wie Polen oder Litauen. Im Kriegsfall könnten diese zur Verteidigung ihrer Heimatländer einberufen werden, was zu einem erheblichen Personalmangel führen würde.
Hybride Bedrohungen und die Gefahr aus dem Netz
Neben der logistischen Herausforderung wächst die Sorge vor unsichtbaren Angriffen. Henning Voss, Referent für Wirtschaftsschutz beim NRW-Verfassungsschutz, betonte die zunehmende Gefahr durch Cyberangriffe, Spionage und Sabotage.
„Unternehmen können bei einer hybriden Bedrohung als Mittel zum Zweck dienen, um das Land anzugreifen.“
Die Bedrohungslage sei komplex. Während Russland vor allem im Bereich der Sabotage aktiv sei, konzentriere sich China auf Wirtschaftsspionage, der Iran auf Wissenschaftsspionage und Nordkorea auf Cyberkriminalität zur Geldbeschaffung.
Schwindelerregende Schadenssummen
Die deutsche Wirtschaft hat laut aktuellen Erhebungen im vergangenen Jahr einen Schaden von 289,2 Milliarden Euro durch Spionage, Sabotage und Datendiebstahl erlitten. Allein auf Nordrhein-Westfalen entfielen davon zwischen 55 und 69 Milliarden Euro. Bundesweit gaben 87 Prozent der Unternehmen an, in den letzten zwölf Monaten Ziel von Cyberangriffen gewesen zu sein.
Voss warnte, dass diese Angriffe nicht nur Konzerne treffen, sondern zunehmend auch kleine und mittlere Unternehmen ins Visier geraten. „Daran hängen auch Arbeitsplätze“, mahnte der Verfassungsschützer.
Auch der kleine Bäcker ist ein Ziel
Die Vorstellung, dass nur Hochtechnologie-Unternehmen für ausländische Geheimdienste interessant sind, ist längst überholt. Voss verdeutlichte dies an einem einfachen Beispiel: „Ein kleiner Bäcker in einem Ort mit 1000 Einwohnern mag seine Bücher über einen alten Rechner führen und hat keine Geheimnisse, die internationale Hacker ihm stehlen können.“
Doch die Situation ändert sich schlagartig im Verteidigungsfall. „Wenn nahe des kleinen Ortes Truppen aufmarschieren und der Bäcker von der Bundeswehr eine Bestellung über 20.000 Brötchen bekommt, ist das eine hochinteressante Information“, so Voss. Eine solch ungewöhnlich große Bestellung von Zutaten könnte Rückschlüsse auf die Anwesenheit und Stärke einer militärischen Einheit in der Nähe zulassen.
Vorsicht bei öffentlichen Informationen
Oftmals müssen Angreifer nicht einmal komplexe Hacking-Methoden anwenden. Viele sensible Informationen sind frei im Internet verfügbar. Voss warnte Unternehmen davor, zu viele Details preiszugeben.
- Öffentliche Aufträge: Firmen, die auf ihrer Website mit systemrelevanten Dienstleistungen für kritische Infrastruktur werben, machen sich selbst zum Ziel.
 - Mitarbeiterprofile: Veröffentlichte Lebensläufe von Führungskräften können für Social-Engineering-Angriffe genutzt werden.
 - Infrastrukturdaten: Selbst öffentlich zugängliche Pläne, wie etwa die von der Deutschen Bahn veröffentlichten Kabelstrangverläufe, stellen ein Sicherheitsrisiko dar.
 
Der Verfassungsschutz hat daher seine Beratungsangebote für Unternehmen ausgeweitet. Ziel ist es, Firmen dabei zu unterstützen, ihre IT-Systeme und Gebäude zu schützen und ihre Mitarbeiter für die Gefahren zu sensibilisieren.




