Eine neue Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln wirft der Bundesregierung vor, das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität (SVIK) zweckentfremdet zu haben. Anstatt wie versprochen zusätzliche Projekte zu finanzieren, würden die Mittel genutzt, um Lücken im regulären Bundeshaushalt zu schließen und bestehende Ausgaben zu decken.
Die Ökonomen identifizierten fünf konkrete Fälle, in denen Gelder aus dem SVIK reguläre Haushaltsmittel ersetzen. Dieses Vorgehen untergräbt laut den Experten das Prinzip der „Zusätzlichkeit“, das die Grundlage für die verfassungsrechtliche Einrichtung des Fonds war.
Das Wichtigste in Kürze
- Vorwurf der Zweckentfremdung: Das IW Köln kritisiert, dass das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen (SVIK) nicht für zusätzliche Investitionen, sondern zum Füllen von Haushaltslöchern genutzt wird.
- Fünf konkrete Fälle: Die Studie belegt die Umschichtung von Mitteln bei der Deutschen Bahn, Autobahnbrücken, dem Breitbandausbau, der Krankenhausfinanzierung und dem Klima- und Transformationsfonds (KTF).
- Regierung weist Kritik zurück: Das Bundesfinanzministerium verteidigt das Vorgehen und verweist auf haushaltsrechtliche Vorgaben sowie eine insgesamt steigende Investitionsquote.
- Interne Spannungen: Berichte deuten auf Konflikte innerhalb der Koalition über die Finanzierungspraktiken und die Kommunikation von Ministern hin.
Analyse deckt massive Umschichtungen auf
Das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität wurde eingerichtet, um Deutschlands Modernisierung voranzutreiben. Das zentrale Versprechen lautete, dass die 500 Milliarden Euro ausschließlich für neue, zusätzliche Projekte verwendet werden, die nicht aus dem regulären Haushalt finanziert werden können. Eine aktuelle Kurzstudie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis.
Die Kölner Ökonomen haben die Haushaltspläne der Regierung analysiert und festgestellt, dass in mehreren Bereichen Gelder aus dem SVIK lediglich Ausgaben ersetzen, die zuvor im Kernhaushalt veranschlagt waren. „Statt neuer Brücken finanziert Deutschland mit dem Sondervermögen jetzt auch die Mütterrente. Das ist ein schweres Foulspiel“, kritisiert IW-Haushaltsexperte Tobias Hentze das Vorgehen der Regierung.
Was ist das Prinzip der „Zusätzlichkeit“?
Das Prinzip der Zusätzlichkeit besagt, dass Mittel aus einem Sondervermögen nur für Vorhaben ausgegeben werden dürfen, die über die regulären, bereits geplanten Ausgaben des Bundeshaushalts hinausgehen. Es soll sicherstellen, dass die neuen Schulden tatsächlich in neue Projekte fließen und nicht zur Finanzierung laufender Kosten oder zum Ausgleich von Kürzungen an anderer Stelle dienen.
Fünf Beispiele für die Verschiebung von Geldern
Die IW-Studie listet fünf zentrale Bereiche auf, in denen das Prinzip der Zusätzlichkeit gebrochen wird. Diese Beispiele zeigen ein systematisches Muster, bei dem Ausgaben aus dem Kernhaushalt in das kreditfinanzierte Sondervermögen verlagert werden.
1. Investitionen bei der Deutschen Bahn
Der wohl gravierendste Fall betrifft die Deutsche Bahn. Für die Schieneninfrastruktur sind 18,8 Milliarden Euro aus dem SVIK vorgesehen. Gleichzeitig werden die Investitionen für die Schiene im regulären Bundeshaushalt um 13,7 Milliarden Euro reduziert. Laut IW hat sich die Regierung damit einen finanziellen Spielraum von 8,2 Milliarden Euro im Haushalt geschaffen.
2. Sanierung von Autobahnbrücken
Ein ähnliches Vorgehen zeigt sich bei der Sanierung maroder Autobahnbrücken. Im Jahr 2026 sollen 2,5 Milliarden Euro aus dem SVIK dafür bereitgestellt werden. Parallel dazu kürzt die Regierung jedoch die Mittel für Bundesfernstraßen im Kernhaushalt um 1,7 Milliarden Euro im Vergleich zum Jahr 2024.
3. Finanzierung des Breitbandausbaus
Besonders deutlich wird die Umschichtung beim Breitbandausbau. Während dieser im Jahr 2024 noch mit 1,8 Milliarden Euro im regulären Haushalt finanziert wurde, taucht er für das Jahr 2026 mit einer Summe von 2,3 Milliarden Euro ausschließlich im SVIK auf. Im Kernhaushalt ist dafür kein Geld mehr vorgesehen.
4. Unterstützung für Krankenhäuser
Auch im Gesundheitssektor wird das Sondervermögen genutzt, um andere Kostenträger zu entlasten. Geplante sechs Milliarden Euro für Krankenhäuser, die ursprünglich vom Gesundheitsfonds und den Bundesländern getragen werden sollten, werden nun aus dem SVIK finanziert.
5. Zuschuss für den Klimafonds
Der Klima- und Transformationsfonds (KTF) erhält ab 2025 jährlich zehn Milliarden Euro aus dem SVIK. Die IW-Analyse kommt zu dem Schluss, dass diese Mittel größtenteils nicht in zusätzliche Klimaschutzinvestitionen fließen, sondern bestehende Programme finanzieren und Haushaltslücken im KTF ausgleichen.
Spannungen in der Regierungskoalition
Die Finanzierungspolitik führt offenbar zu erheblichen Spannungen innerhalb der schwarz-roten Koalition. Berichten der FAZ zufolge beklagte Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) öffentlich eine Finanzierungslücke von 15 Milliarden Euro für den Straßenbau bis 2029. Sein Ministeriumsetat wurde von 44 Milliarden auf 38 Milliarden Euro gekürzt. Daraufhin soll Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) ihm einen „geharnischten Brief“ geschrieben haben.
Finanzministerium verteidigt umstrittene Praxis
Auf Anfrage wies das Bundesfinanzministerium die Vorwürfe zurück. Eine Sprecherin erklärte, dass die Gesamtinvestitionen im Bundeshaushalt 2026 auf einen Rekordwert von 126,7 Milliarden Euro steigen würden. Die Umschichtungen seien notwendig, da die Bundeshaushaltsordnung verbiete, „Ausgaben für denselben Zweck nicht bei verschiedenen Titeln“ zu veranschlagen.
„Der Entwurf für das SVIK-Gesetz setzt die verfassungsrechtlichen Vorgaben vollständig um und enthält eine Regelung zur Zusätzlichkeit.“ – Sprecherin des Bundesfinanzministeriums
Das Ministerium argumentiert weiter, dass die Planung der Vorgängerregierung für den Klima- und Transformationsfonds „hohe ungedeckte globale Minderausgaben“ vorgesehen habe. Die zehn Milliarden Euro aus dem SVIK seien notwendig, um diese Lücken zu schließen. Bei der Krankenhausfinanzierung sollen die Darlehen aus dem Sondervermögen einen Anstieg der Krankenkassenbeiträge abfedern.
Kritik an der Finanzierungslogik wächst
Trotz der Rechtfertigungen aus dem Finanzministerium wächst die Kritik an der Vorgehensweise. Experten bemängeln die Logik, Sanierungsmaßnahmen über Kredite im Sondervermögen zu finanzieren, während Neubauprojekte aus dem schrumpfenden Kernhaushalt bezahlt werden müssen. Üblicherweise sei es umgekehrt, da künftige Generationen von Neubauten profitieren und daher auch an deren Finanzierung durch Kredite beteiligt werden sollten.
Die Grünen im Bundestag bezeichneten das Vorgehen der Regierung als „fehlerhaft“. Obwohl erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel bestehen, gilt eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht als wenig aussichtsreich. Da die Regierung für die Einrichtung des SVIK das Grundgesetz geändert hat und keine Oppositionsfraktion groß genug für einen Normenkontrollantrag ist, dürften die Umschichtungen vorerst Bestand haben. Die Last der Rückzahlung der 500 Milliarden Euro tragen jedoch zukünftige Generationen.




