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Hohe Arbeitskosten belasten die deutsche Industrie

Eine neue Studie zeigt: Die Arbeitskosten in der deutschen Industrie liegen 22 Prozent über dem internationalen Schnitt. Experten warnen vor Deindustrialisierung.

Stefan Keller
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Stefan Keller

Stefan Keller ist Wirtschaftskorrespondent bei Cologne News Today. Er analysiert seit über 15 Jahren makroökonomische Trends, die deutsche Wirtschaftspolitik und die Herausforderungen für den Standort Deutschland.

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Hohe Arbeitskosten belasten die deutsche Industrie

Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass die Arbeitskosten in der deutschen Industrie im Jahr 2024 die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts erheblich belasten. Die Kosten liegen 22 Prozent über dem Durchschnitt von 27 Vergleichsländern, was die Sorge vor einer zunehmenden Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland verstärkt.

Wichtige Erkenntnisse

  • Die Arbeitskosten in Deutschlands Industrie sind 22 Prozent höher als im internationalen Durchschnitt der Vergleichsländer.
  • Die hohe Produktivität der deutschen Unternehmen kann diesen Kostennachteil nicht mehr vollständig ausgleichen.
  • Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) warnt vor einer „schrittweisen Deindustrialisierung“ ohne politische Reformen.
  • Zusätzlicher Druck entsteht durch hohe Energiekosten und den wachsenden Wettbewerb aus China.

Deutschlands Kostenproblem im internationalen Vergleich

Die deutsche Wirtschaft, insbesondere der Industriesektor, sieht sich mit einer ernsten Herausforderung konfrontiert. Laut der IW-Studie lagen die Arbeitskosten hierzulande im Jahr 2024 deutlich über denen vieler anderer Industrienationen. Konkret bedeutet dies, dass deutsche Unternehmen für die Herstellung eines Produkts im Schnitt rund ein Fünftel mehr für Löhne und Gehälter aufwenden müssen als ihre Konkurrenten.

Im europäischen Vergleich wird die Situation noch deutlicher. Innerhalb des Euro-Raums betrug der Kostenaufschlag 15 Prozent. Nur in drei der 27 untersuchten Länder – Lettland, Estland und Kroatien – waren die Arbeitskosten noch höher als in Deutschland. Diese Zahlen verdeutlichen den erheblichen Kostendruck, unter dem deutsche Betriebe stehen.

Was sind Lohnstückkosten?

Die Lohnstückkosten setzen die Arbeitskosten eines Unternehmens ins Verhältnis zu seiner Produktivität. Sie geben an, wie hoch die Personalkosten für die Herstellung einer einzelnen Produkteinheit sind. Ein hoher Wert deutet auf eine geringere Wettbewerbsfähigkeit hin, da die Produktionskosten im Vergleich zu anderen Standorten höher sind.

Hohe Produktivität reicht nicht mehr aus

Traditionell konnte Deutschland hohe Arbeitskosten durch eine herausragende Produktivität kompensieren. Die deutsche Industrie zählt weiterhin zu den produktivsten der Welt und belegt in der IW-Analyse den siebten Platz unter den 27 untersuchten Staaten. Doch dieser Vorteil schwindet zunehmend.

Andere Länder schaffen es, produktiver und gleichzeitig kostengünstiger zu sein. Als Beispiel werden in der Studie die USA genannt, wo die Produktivität höher ist, die Arbeitskosten aber gleichzeitig niedriger ausfallen. Dies verschafft amerikanischen Unternehmen einen klaren Wettbewerbsvorteil auf dem Weltmarkt.

Wachstumslücke wird größer

Die Entwicklung seit 2018 unterstreicht das Problem. Während die Lohnstückkosten in Deutschland mit einem Anstieg von 18 Prozent langsamer wuchsen als im internationalen Durchschnitt, blieb das Wirtschaftswachstum zurück. Die Bruttowertschöpfung stieg hierzulande nur um drei Prozent, während sie in den Vergleichsländern um sechs Prozent zunahm. Deutsche Unternehmen konnten also trotz technologischer Stärke weniger Wachstum generieren.

Deutschland im Zahlenvergleich

  • +22 %: Höhere Arbeitskosten im Vergleich zu 27 Industriestaaten.
  • Platz 7: Rang Deutschlands bei der Produktivität.
  • +3 %: Wachstum der Bruttowertschöpfung seit 2018 (vs. 6 % im Ausland).

Strukturelle Herausforderungen und politische Forderungen

Experten sehen mehrere Gründe für die angespannte Lage. Neben den reinen Lohnkosten belasten vor allem die hohen Lohnnebenkosten die Unternehmen. Diese finanzieren die Sozialsysteme und sind in den letzten Jahren stetig gestiegen.

Christoph Schröder, Ökonom am IW, sieht die Politik in der Pflicht. Er warnt vor den Folgen des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels, die die Löhne weiter in die Höhe treiben dürften. Seine Analyse ist deutlich:

„Ohne eine Reform der Sozialsysteme rutscht der Standort Schritt für Schritt in die Deindustrialisierung.“

Die Bundesregierung müsse dringend handeln, um den Anstieg der Lohnnebenkosten zu bremsen und die strukturellen Probleme am Arbeitsmarkt zu adressieren.

Zusätzlicher Druck durch Energiepreise und China

Die hohen Arbeitskosten sind nicht das einzige Problem für die deutsche Industrie. Auch die im internationalen Vergleich hohen Energiepreise, insbesondere die Stromkosten, stellen eine massive Belastung dar. Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), warnt vor den Konsequenzen.

„Energieintensive Unternehmen verlagern ihre Produktion und damit Arbeitsplätze schon jetzt verstärkt ins Ausland“, so Adrian. Dieser Trend könnte sich weiter verschärfen, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Verlorener Technologievorsprung

Eine weitere Gefahr kommt aus Asien. Laut IW hat die deutsche Industrie ihren einst klaren Technologievorsprung gegenüber der Konkurrenz aus China teilweise eingebüßt. Das hat direkte Auswirkungen auf die Preissetzungsmacht. „Sie können seltener die Preise diktieren – die hohen Standortkosten werden deshalb zum Nachteil“, heißt es in der Analyse des Instituts. Die Kombination aus hohen Kosten und starkem Wettbewerb setzt die deutsche Industrie von mehreren Seiten unter Druck.