Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass eine überwältigende Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland bereit wäre, ihre Arbeitszeit zu verlängern. Diese Bereitschaft ist jedoch an klare Bedingungen geknüpft, bei denen finanzielle Anreize und flexible Arbeitsmodelle im Vordergrund stehen.
Wichtige Erkenntnisse
- 77 Prozent der deutschen Arbeitnehmer sind offen für eine Verlängerung ihrer Arbeitszeit.
- Hauptbedingung für 72 Prozent ist eine deutliche Senkung von Steuern und Sozialabgaben.
- Jüngere Arbeitnehmer unter 30 Jahren zeigen mit 86 Prozent die höchste Bereitschaft.
- Die Studie sieht in längeren Arbeitszeiten eine schnelle Lösung gegen den Fachkräftemangel.
Deutschlands Arbeitsmarkt vor großen Herausforderungen
Deutschland steht vor einem tiefgreifenden demografischen Wandel. Die Generation der Babyboomer verabschiedet sich zunehmend in den Ruhestand, was eine erhebliche Lücke auf dem Arbeitsmarkt hinterlässt. Experten warnen, dass allein in der aktuellen Legislaturperiode rund zwei Millionen mehr Menschen den Arbeitsmarkt verlassen, als junge Arbeitskräfte nachrücken. Dieser Trend verschärft den bereits bestehenden Fachkräftemangel in vielen Branchen.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, werden verschiedene Lösungsansätze diskutiert. Dazu gehören die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland und die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung, beispielsweise von Frauen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) schlägt in seiner neuen Studie einen weiteren Weg vor: die Verlängerung der Arbeitszeit der bereits Beschäftigten.
Der Fachkräftemangel als wirtschaftliches Problem
Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften bremst das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland. Viele Unternehmen können Aufträge nicht annehmen oder müssen ihre Produktion drosseln, weil Personal fehlt. Laut IW könnte eine Ausweitung der Wochen- oder Lebensarbeitszeit eine sehr effektive und vor allem kurzfristig wirksame Maßnahme sein, um diese Lücke zu schließen.
Überraschend hohe Bereitschaft zur Mehrarbeit
Die Ergebnisse der repräsentativen IW-Studie, für die 5.000 Beschäftigte befragt wurden, widerlegen das gängige Vorurteil, dass die meisten Deutschen primär eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit anstreben. Tatsächlich gaben 77 Prozent der Befragten an, dass sie sich vorstellen könnten, länger zu arbeiten.
Interessanterweise ist diese Bereitschaft nicht auf Teilzeitkräfte beschränkt. Auch unter den Vollzeitbeschäftigten ist die Zustimmung mit 76 Prozent fast genauso hoch. Dies deutet darauf hin, dass die Motivation für Mehrarbeit nicht allein von der aktuellen Stundenzahl abhängt, sondern von anderen Faktoren bestimmt wird.
Vollzeit vs. Teilzeit
Die Annahme, dass vor allem Vollzeitbeschäftigte nach kürzeren Arbeitszeiten streben, wird durch die Studienergebnisse infrage gestellt. Die Bereitschaft zur Arbeitszeitverlängerung ist in beiden Gruppen nahezu identisch, was auf gemeinsame Motive und Bedingungen hindeutet.
Die Bedingungen: Geld und Flexibilität sind entscheidend
Die Studie zeigt deutlich, dass die Bereitschaft zur Mehrarbeit nicht bedingungslos ist. Die Beschäftigten haben klare Vorstellungen davon, welche Anreize geschaffen werden müssen, damit sie ihre Arbeitszeit ausweiten.
Finanzielle Anreize stehen an erster Stelle
Für die große Mehrheit ist der finanzielle Aspekt der entscheidende Faktor. 72 Prozent der Befragten würden nur dann länger arbeiten, wenn Steuern und Sozialabgaben auf die zusätzliche Arbeitszeit deutlich gesenkt würden. Ohne einen spürbaren finanziellen Vorteil im Nettoeinkommen ist die Motivation zur Mehrarbeit gering.
„Die hohe Abgabenlast auf Mehrarbeit ist für viele eine entscheidende Hürde. Wenn vom zusätzlichen Bruttoverdienst nur wenig netto übrig bleibt, fehlt der Anreiz“, analysieren die Autoren der Studie.
Flexibilität und bessere Rahmenbedingungen
Neben dem Geld spielen auch andere Faktoren eine wichtige Rolle. Insbesondere für Vollzeitkräfte und Teilzeitbeschäftigte mit mehr als 20 Wochenstunden sind flexible Arbeitszeiten ein zentraler Wunsch. Die Möglichkeit, die Arbeitszeit freier zu gestalten, ist für viele eine Grundvoraussetzung.
Weitere wichtige Punkte, die genannt wurden, sind:
- Bessere und verlässlichere Kinderbetreuungsmöglichkeiten
- Erweiterte Optionen für das Arbeiten im Home-Office
Junge Arbeitnehmer und Führungskräfte sind besonders motiviert
Ein genauerer Blick auf die demografischen Daten der Studie offenbart interessante Unterschiede zwischen den Altersgruppen und Positionen. Besonders junge Menschen zeigen eine hohe Bereitschaft, mehr zu arbeiten.
In der Gruppe der unter 30-Jährigen können sich 86 Prozent eine Arbeitszeitverlängerung vorstellen. Dies könnte mit der Karriereplanung und dem Wunsch nach finanziellem Aufbau in einer frühen Lebensphase zusammenhängen. Doch auch bei den älteren Beschäftigten ist die Bereitschaft noch hoch: Bei den über 55-Jährigen sind es immerhin noch 69 Prozent.
Auffällig ist zudem, dass Führungskräfte eine überdurchschnittlich hohe Bereitschaft zur Mehrarbeit zeigen. Faktoren wie Geschlecht, Bildungsabschluss oder die Branche, in der die Befragten tätig sind, spielten hingegen keine signifikante Rolle bei der Beantwortung dieser Frage.
Ein klarer Auftrag an die Politik
Die Autoren der IW-Studie ziehen ein klares Fazit: Die Bereitschaft der Arbeitnehmer ist vorhanden, doch die Politik ist gefordert, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Viele der genannten Hürden, wie die hohe Abgabenlast oder fehlende Kinderbetreuungsplätze, liegen im Verantwortungsbereich des Gesetzgebers.
Die zentrale Forderung lautet daher, die gesetzlichen und steuerlichen Regelungen so anzupassen, dass sich Mehrarbeit für die Beschäftigten spürbar lohnt. Eine Reduzierung der Abgaben auf Überstunden oder zusätzliche Arbeitsstunden könnte laut den Experten ein wirksamer Hebel sein, um das vorhandene Potenzial zu aktivieren und dem Fachkräftemangel kurzfristig entgegenzuwirken.




