Der renommierte Psychoanalytiker Otto Kernberg hat bei einem Besuch in Köln eindringlich vor den Gefahren gewarnt, die von narzisstischen Persönlichkeiten in politischen Führungspositionen ausgehen. Der 97-jährige Experte, der als einer der weltweit führenden Forscher zu narzisstischen Störungen gilt, zog Parallelen zwischen historischen Diktatoren und aktuellen politischen Akteuren.
Bei einem Vortrag im Alexianer-Krankenhaus in Porz erklärte Kernberg, der selbst als Kind mit seiner jüdischen Familie vor den Nationalsozialisten aus Wien fliehen musste, dass bestimmte Verhaltensmuster bei Politikern wie Donald Trump auf eine ernste Bedrohung für demokratische Systeme hindeuten.
Das Wichtigste in Kürze
- Otto Kernberg (97), ein führender Experte für Narzissmus, sprach im Alexianer-Krankenhaus in Köln-Porz.
- Er warnte, dass Politiker wie Trump die USA in eine Diktatur führen könnten, wenn sie nicht gestoppt werden.
- Kernberg identifizierte bösartigen Narzissmus als gemeinsames Merkmal von Führern wie Hitler, Stalin, Putin und Trump.
- Seine Analyse basiert auf jahrzehntelanger Forschung und seinen persönlichen Erfahrungen als Holocaust-Überlebender.
Ein Leben geprägt von Geschichte und Psychologie
Otto Kernbergs Analyse ist untrennbar mit seiner eigenen Lebensgeschichte verbunden. Er wurde 1928 in Wien geboren und erlebte als Neunjähriger den Einzug Adolf Hitlers. Zwei Jahre später gelang seiner jüdischen Familie die Flucht mit dem letzten Schiff von Genua nach Chile. Viele seiner Verwandten wurden von den Nationalsozialisten ermordet.
Diese prägenden Erlebnisse motivierten ihn, die psychologischen Mechanismen zu erforschen, die es Menschen ermöglichen, Gräueltaten zu begehen. „Alle von uns haben die Fähigkeit, primitiver zu handeln, als wir uns das vorstellen können“, erklärte Kernberg vor dem Kölner Publikum. Politische Ideologien, die unter normalen Umständen als extrem gelten, könnten in Krisenzeiten mehrheitsfähig werden.
Wer ist Otto Kernberg?
Otto F. Kernberg ist ein österreichisch-amerikanischer Psychoanalytiker und Professor für Psychiatrie. Er ist bekannt für seine bahnbrechenden Arbeiten zur Borderline-Persönlichkeitsorganisation und zum pathologischen Narzissmus. Seine Theorien haben die moderne Psychoanalyse und die Behandlung von schweren Persönlichkeitsstörungen maßgeblich beeinflusst.
Während seines neunstündigen Arbeitstages in Köln, der einen Workshop für Therapeuten und einen öffentlichen Vortrag umfasste, wirkte Kernberg trotz seines hohen Alters geistig brillant und engagiert. Sein Wiener Akzent und seine klare Sprache fesselten die Zuhörer, während er komplexe psychologische Konzepte erläuterte.
Die Merkmale des bösartigen Narzissmus
Im Zentrum von Kernbergs Ausführungen stand die Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen des Narzissmus. Er grenzte einen eher harmlosen Typ, bei dem Menschen „in der Selbstliebe der Kindheit stecken geblieben“ sind, von der schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung ab.
Diese gefährlichere Form, die er als „bösartigen Narzissmus“ bezeichnet, ist durch eine Kombination aus mehreren problematischen Zügen gekennzeichnet.
Symptome in der Politik
Laut Kernberg zeigen sich bei dieser schweren Störung folgende Merkmale:
- Grandiosität: Eine übersteigerte Überzeugung von der eigenen Wichtigkeit und Großartigkeit.
- Aggression und Neid: Eine Tendenz zur Abwertung und Bekämpfung anderer.
- Paranoia: Ein tiefes Misstrauen gegenüber der Umwelt und die Neigung, überall Feinde zu sehen.
- Manipulationsfähigkeit: Die Fähigkeit, andere geschickt für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren.
Kernberg betonte, dass Menschen mit diesen Eigenschaften oft in Führungspositionen gelangen. „Sie drängen stark dorthin und werden nicht gestoppt“, sagte er. Er identifizierte Hitler und Stalin als „Prototypen des bösartigen Narzissmus“ und argumentierte, dass Wladimir Putin und Donald Trump bei allen Unterschieden dieselben grundlegenden Züge aufweisen.
Obwohl er betonte, keine Ferndiagnose stellen zu wollen, da er die Personen nie behandelt habe, seien die Symptome auf politisch-gesellschaftlicher Ebene deutlich erkennbar.
Die Bedrohung für die Demokratie
Besonders besorgt zeigte sich Kernberg über die Entwicklungen in den USA. Er äußerte die Befürchtung, dass eine Wiederwahl von Donald Trump das Ende der liberalen Demokratie bedeuten könnte.
„Er wird die USA in die Diktatur führen, wenn er nicht gestoppt wird.“
Trump sei kein Präsident für alle Amerikaner, sondern nur für seine Anhänger. Er nutze die Spaltung der Gesellschaft gezielt aus, um seine Macht zu festigen. Kernberg erklärte, dass sich die weiße Mittelschicht und die Landbevölkerung in den letzten Jahrzehnten von der Politik vernachlässigt gefühlt hätten. Dieses Vakuum habe Trump genutzt, „um sich als Führer des traditionellen Amerika zu inszenieren“.
Die Bewunderung Trumps für autoritäre Herrscher wie Putin liege „im Naturell solcher narzisstischen Persönlichkeiten“. Sie bewundern die vermeintliche Stärke und Rücksichtslosigkeit des anderen. Auf die Frage, ob Vergleiche zwischen Trump und Hitler in den Medien zulässig seien, antwortete Kernberg: „In ihrem Gefühl der eigenen Großartigkeit sind sie durchaus vergleichbar.“
Was kann die Gesellschaft tun?
Kernberg sieht den Schlüssel zur Verteidigung der Demokratie in einer aktiven und mutigen Opposition. „Es braucht eine aggressive Form der Opposition. Die Geschichte hat gezeigt, dass man sich wehren muss“, mahnte der 97-Jährige. Er forderte Persönlichkeiten, die sich „furchtlos und intelligent den Diktatoren entgegenstellen“.
Ein weiterer wichtiger Punkt sei die Aufklärung. Die Mechanismen von Manipulation müssten in Schulen, Parteien und anderen Organisationen gelehrt werden, um die Gesellschaft widerstandsfähiger zu machen. Dies gelte nicht nur für die Politik, sondern auch für das private Leben.
Ein Leben für die Arbeit
Trotz seines fortgeschrittenen Alters denkt Kernberg nicht an den Ruhestand. Er habe sein Arbeitspensum lediglich „auf 50 Stunden pro Woche reduziert“. Auf die Frage, was für ein langes und gesundes Leben wichtig sei, antwortete er:
- Eine als sinnvoll empfundene Arbeit
- Liebe und Sexualität
- Ein aktives soziales Leben
- Kreativität
Oder, wie er es zusammenfasste: „Man muss Spaß haben am Leben.“ Mit dieser Botschaft und einer stehenden Ovation wurde der Psychoanalytiker in Köln verabschiedet, nachdem er sein Publikum mit scharfsinnigen Analysen und einer klaren Haltung beeindruckt hatte.




