Ineos, einer der größten industriellen Arbeitgeber in Köln, steht vor erheblichen Herausforderungen. Das Unternehmen hat die Stilllegung von zwei Anlagen an seinem Standort im Kölner Norden angekündigt und plant einen massiven Stellenabbau. Die Belegschaft, die vor einem Jahr noch rund 2.500 Mitarbeitende zählte, ist bereits auf 2.300 geschrumpft und wird in naher Zukunft auf unter 2.000 sinken.
Die Unternehmensführung macht für die Krise nicht etwa technische Mängel verantwortlich, sondern die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Hohe Energiekosten und der Preis für CO₂-Zertifikate belasten die Produktion so stark, dass die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt gefährdet ist.
Das Wichtigste in Kürze
- Ineos in Köln legt zwei von 21 Produktionsanlagen still.
- Die Mitarbeiterzahl wird von ehemals 2.500 auf deutlich unter 2.000 reduziert.
- Hauptgründe sind hohe Energiepreise und die Kosten für CO₂-Emissionszertifikate.
- Die Krise könnte einen Dominoeffekt im gesamten Chempark-Verbund auslösen.
Ein Traditionsstandort in der Krise
Seit Jahrzehnten ist das Ineos-Werk im Kölner Norden ein Eckpfeiler der regionalen Industrie. Doch die aktuelle Situation ist nach Angaben des Managements beispiellos. „Noch nie“, sagt der kaufmännische Geschäftsführer und Arbeitsdirektor Patrick Giefers, der seit 25 Jahren im Unternehmen ist, habe man sich in einer vergleichbar kritischen Lage befunden.
Die Konsequenzen sind bereits spürbar. Kollegen, die das Unternehmen verlassen oder in den Ruhestand gehen, werden nicht ersetzt. Erstmals seit langer Zeit können Auszubildende nur noch in Ausnahmefällen übernommen werden, und der neue Ausbildungsjahrgang wurde um ein Drittel verkleinert. Betriebsbedingte Kündigungen sollen auf diese Weise vermieden werden, doch der Personalabbau ist massiv.
Zahlen zum Stellenabbau
- Vor einem Jahr: ca. 2.500 Beschäftigte
- Aktuell: ca. 2.300 Beschäftigte
- Prognose: Deutlich unter 2.000 Beschäftigte
Politik, nicht Technik, als Ursache
Besonders frustrierend für die Belegschaft ist, dass die Probleme nicht hausgemacht sind – zumindest nicht im Unternehmen selbst. Die Kölner Anlagen gelten als technisch hochmodern und effizient. In den letzten zehn Jahren investierte der Mutterkonzern rund zwei Milliarden Euro in den Standort, um ihn an der europäischen Spitze zu halten.
Die Schwierigkeiten liegen in den externen Kostenfaktoren. Erdgas ist seit Beginn des Ukrainekrieges in Deutschland etwa dreimal so teuer wie in den USA oder China. Auch die Strompreise sind für deutsche Unternehmen rund 50 Prozent höher als für die internationale Konkurrenz. Den größten Druck erzeugt jedoch der CO₂-Preis.
„Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern, wird es in Deutschland keine Basischemie mehr geben und damit auch kein Ineos in Köln mehr.“ – Stephan Müller, Energy Commercial Manager bei Ineos Köln
Die Last der CO₂-Zertifikate
Die Kosten für Emissionszertifikate sind auf rund 80 Euro pro Tonne CO₂ gestiegen. Für Ineos in Köln bedeutet das eine jährliche Belastung von 80 bis 100 Millionen Euro. Dieser Betrag macht mittlerweile einen zweistelligen Prozentsatz der Gesamtkosten aus. Das politische Ziel dahinter ist, Unternehmen zu einem geringeren CO₂-Ausstoß zu bewegen. Doch Ineos argumentiert, dass die notwendigen Alternativen fehlen.
Eine Umstellung der sogenannten Steamcracker, die Rohbenzin aufspalten, von Gas auf Strom würde den Strombedarf des Werks verfünffachen. „Ein Ausbau des Stromnetzes würde aber zehn bis zwölf Jahre dauern“, erklärt Stephan Müller, Energy Commercial Manager bei Ineos Köln. Ähnlich weit entfernt sind Lösungen wie eine Versorgung mit grünem Wasserstoff oder die unterirdische Speicherung von CO₂ (CCS), für die ebenfalls eine komplett neue Infrastruktur erforderlich wäre.
Dominoeffekt für die gesamte chemische Industrie
Die wirtschaftliche Notlage hat bereits dazu geführt, dass die Auslastung der Anlagen drastisch gesunken ist. Liefen sie früher bei etwa 90 Prozent, sind es heute nur noch unter 60 Prozent. Werte unter 80 Prozent gelten in der Branche als unwirtschaftlich. Seit Jahren muss die britische Ineos-Muttergesellschaft die Verluste der Kölner Tochter ausgleichen.
Das Verbundsystem der Chemparks
Die chemische Industrie im Rheinland ist eng vernetzt. Unternehmen wie Ineos produzieren Basischemikalien, die über Pipelines direkt an benachbarte Firmen weitergeleitet und dort verarbeitet werden. Fällt ein wichtiger Produzent aus, kann das gesamte System ins Wanken geraten, da Lieferketten unterbrochen und Pipelines nicht mehr ausgelastet werden.
Die Krise bei Ineos ist daher mehr als nur ein Problem für ein einzelnes Unternehmen. Die Steamcracker sind das Herzstück vieler Produktionsverbünde. Rund 80 Prozent der in Köln produzierten Chemikalien gehen an Kunden in einem Umkreis von nur 200 Kilometern. Fällt diese Produktion weg, entsteht eine Lücke, die das gesamte regionale Netzwerk bedroht. „Das ganze Verbundsystem droht zu kippen“, warnt man bei Ineos.
Produktionsverlagerung statt Klimaschutz?
Die Schließung von Anlagen in Deutschland hilft dem globalen Klima laut Ineos nicht. Die hier hergestellten Produkte, die in 95 Prozent aller deutschen Güter stecken – von Dämmmaterial über Autoteile bis hin zu Schmierstoffen für Windkraftanlagen – würden weiterhin benötigt.
Fehlt die Produktion vor Ort, müssten diese Chemikalien importiert werden, voraussichtlich aus Asien. „Der CO₂-Fußabdruck von Ware aus China ist doppelt so groß wie der von hier hergestellten Produkten“, so Müller. Hinzu kämen die Emissionen durch den globalen Transport. Arbeitsplätze und Emissionen würden also lediglich verlagert, nicht eingespart.
Während die NRW-Landesregierung auf einen vom Bund geforderten „Brückenstrompreis“ verweist, aber am Emissionshandel festhalten will, wird die Zeit für die deutsche Chemieindustrie knapp. Analysten erwarten, dass der Preis für CO₂-Zertifikate in den kommenden Jahren weiter auf 100 bis 160 Euro pro Tonne steigen könnte, was die Kosten für Unternehmen wie Ineos erneut verdoppeln würde. Der Gründer des Konzerns, Jim Ratcliffe, sprach zuletzt davon, dass Europa „industriellen Selbstmord“ begehe.




